Wann war denn dieses „Früher“, als deiner Meinung - wohl bezogen auf öffentlich sichtbare Nacktheit - „alles halb so wild und ungezwungen“ war? 🤔
Ich kann mich biographisch z. B. an ein „Früher“ erinnern, als man des Sommers am Strand oder Baggersee zwar durchaus nicht wenige junge Frauen oben ohne sah, Wellnesstempel, in denen Weiblein und Männlein ausgiebig splitterfasernackt voreinander herumspazieren aber noch unvorstellbar waren:
Saunen gab es in erster Linie nur angeschlossen an Schwimmbäder oder Fitnessstudios, und zwar i. d. R. baulich oder organisatorisch (abwechselnde Tage oder Zeiten) streng nach Geschlechtern getrennt.
Sonntagabends nach 22 Uhr lief im Fernsehen eine furchtbar billig gemachte, nun ja, Quiz- oder Gameshow, zwischen deren reichlich zotigen Spiel- bzw. Fragerunden aus allerlei Ländern zusammengecastete Tänzerinnen sich bis auf Oma-Schlüpper und halterlose Strümpfe entkleidet haben, was Politik wie seriöser Publizistik gleichermaßen als beispielloser Ausdruck von Geschmacklosigkeit und Sittenverfall auf die Palme brachte.
Mit dem Publikumsinteresse ging es nach einem anfänglichen offensichtlichen Neugiereffekt übrigens doch recht schnell bergab …
Vielleicht haben die Leute dann doch lieber in gewissen Zeitschriftentiteln geblättert, in denen diesmal sogar ganz und gar nackte junge Frauen vorführten, in welcher Vielfalt an Formen und Farben die Natur Schamhaare hervorbringt - aber eben auch keinesfalls mehr als das!
Als den Verkäufer wie den Käufer gleichermaßen peinlich berührende „Bückware“ standen die Heftchen damals im untersten Fach des Zeitschriftenregals, damit kein braver Bürger von den ihn lasziv anblickenden Nackedeis wider Willen belästigt werden konnte - an die Augenhöhe von Kindern dachte im sonst stets so jugendschutzbewegten Deutschland dabei aber bemerkenswerterweise offensichtlich niemand 😂😂😂
Und trotzdem ich von der Möglichkeit, die Titelblätter dieser Zeitschriften zu betrachten und mir zwecks späterer Verarbeitung in meiner Fantasie genau einzuprägen, damals gerne und reichlich Gebrauch machte, ersparten sie mir dennoch nicht den mordsmäßigen Schock, als ich mit zwölf dann eines Tages einmal nackt über einen dazu auf den Boden gelegten Taschenspiegel hockte! 😱
Die äußeren weiblichen Genitalien bestanden in der öffentlichen Darstellung damals praktisch aus Haaren, und sonst nichts. Erst recht wäre es auch keiner Lifestyle-Zeitschrift mit weiblicher Zielgruppe in den Sinn gekommen, neben Mode, Schminken, Partnerschaftspsychologie, Kochen u. ä. auch die Sexualität ihrer Leserinnen irgendwie zu thematisieren, sei es nun in Form von Menstruation, Intimpflege oder gar Selbstbefriedigung! (Wer eine der tollen Diäten macht, die regelmäßig im Heft vorgestellt werden, findet auch einen Mann, und muss es sich nicht selbst machen, dürfte ungefähr die Einstellung gewesen sein 😜🤦♀️)
Spätestens in den Neunzigern, als beim sommerlichen Sonnen und Baden die Bikinioberteile übrigens längst so gut wie ausnahmslos (wieder) dranblieben, durften in der vor allem wohl eben deshalb berühmt-berüchtigten „BRAVO“ auch unter 18-jährige Mädels stolz und mutig nicht nur ihre erst halb ausgewachsenen Busen, sondern auch ihr frisch gesprossenes Schamhaar sicherlich nicht nur gesundheitlich-pädagogisch interessierten Gleichaltrigen (und Jüngeren, und Älteren …) herzeigen - ein Ausdruck libertinärer Gesinnung vergangener Tage übrigens, der auch ansonsten Klagesängern heutiger „Prüderie“ bzw. „Verklemmtheit“ regelmäßig die politisch korrekte Zornesröte ins Gesicht, und sie zu vehementen Distanzierungen und Verurteilungen treibt!
Trotzdem hat auch das die „BRAVO“ nie daran gehindert, sich am schockierten Geraune, etwa neuerschienene Filme mit freizügiger dargestellten Nackt- oder Sexszenen seien ein „Skandal“ zu beteiligen, oder Teenie-Idole, die in solchen Filmen mitgespielt (z. B. Désirée Nosbusch), oder sich für den „Playboy“ ausgezogen haben (z. B. Shannen Doherty, Pamela Anderson) als erstes oder einziges Medium offen oder subtil an den Pranger zu stellen 😬
Und damit die Leser auch genau verstehen konnten, was so empörend an irgendeinem Nacktauftritt war, wurden die besten (Szenen-)Fotos natürlich stets mit abgedruckt 😂😂😂
Mein persönliches biographisches Fazit als mittlerweile tatsächlich auch schon Mittvierzigerin, die entsprechend ca. die zweite Hälfte der achtziger, die neunziger, die nuller, die zehner und die bisherigen zwanziger Jahre - natürlich jeweils mit den Augen unterschiedlicher Lebensalter und -abschnitte - bewusst miterlebt hat, lautet jedenfalls dahingehend, dass die Entwicklung der verbreiteten gesellschaftlichen Einstellung(en) zur Nacktheit auch nicht phasenweise, bis zu einer plötzlichen Veränderung bzw. Umkehrung einem stringenten Konzept bzw. einer linearen Entwicklung (ge)folgt (ist), sondern ständig in einem chaotischen Fluss ist, und dabei - wie oben hoffentlich anschaulich gezeigt - auch laufend Widersprüchlichkeiten aufweist.
„Früher“ war nicht alles besser, natürlich manches anders, aber jederzeit ist alles in Bewegung, Veränderung und Entwicklung, und dabei vieles wiederum durchaus kontrovers und/oder widersprüchlich 😅