Auf die Gefahr hin, daß ich wieder gescholten werde, zu viel zu zitieren, bringe ich im Anschluß Beispiele aus dem berühmten Verriß von Reich-Ranicki über den Roman von Günter Grass "Ein weites Feld" aus dem Jahr 1995.
Vieles läßt sich an Beispielen einfach besser erkennen als in apodiktischen Aussagen.
Der Verriß steht unter der Überschrift:
". . . und es muß gesagt werden"
und es lohnt sich, ihn ganz zu lesen!
baer
'Aber - fuhr er(Fontane) fort - "schlecht ist schlecht, und es muß gesagt werden. Hinterher können dann andere mit den Erklärungen und Milderungen kommen".'
Das ist für mich in Ordnung, wenn es gut begründet wird.
'Ich halte Sie für einen außerordentlichen Schriftsteller, mehr noch: Ich bewundere Sie - nach wie vor. Doch muß ich sagen, was ich nicht verheimlichen kann: daß ich Ihren Roman "Ein weites Feld" ganz und gar mißraten finde. Das ist, Sie können es mir glauben, auch für mich sehr schmerzhaft.'
Der Kritiker erklärt seine eigene Befindlichkeit. Nützt dem Leser nur, wenn er den Kritiker genau kennt. Sonst ist es pure Eitelkeit.
'Sie haben ja in dieses Buch mehrere Jahre schwerer und gewiß auch qualvoller Arbeit investiert. Sie haben, das ist unverkennbar, alles aufs Spiel gesetzt: Es ist das umfangreichste Werk Ihres Lebens geworden.'
Dieses Argument lese ich hier auch immer wieder. Ist es wirklich wichtig, wieviel Arbeit in einem Werk steckt?
'Was soll ich also tun? Den totalen Fehlschlag nur andeuten und Sie schonen, Sie also wie einen "matten Pilger" (auch ein Fontane-Wort!) behandeln? Nein, das nun doch nicht.'
Das wäre bei Amateuren eine Möglichkeit!
'Nur eins verspreche ich Ihnen: Wer hier auf boshafte Witze und auf hämische Seitenhiebe wartet, der soll nicht auf seine Rechnung kommen. Denn schließlich geht es um eine todernste Sache - jedenfalls für Sie.'
Eine der besten Aussagen des gesamten Kritik! Daran sollten wir uns auch halten!
'Wie beinahe alle erfolgreichen Autoren gelten auch Sie - diesen Ruf verdanken Sie natürlich Ihren Kollegen - als größenwahnsinnig.'
'Ich bin da ganz anderer Ansicht. Nicht Größenwahn, so will es mir scheinen, hat Ihre literarische Produktionskraft in den achtziger und in unseren neunziger Jahren stark beeinträchtigt, sondern eher Unsicherheit, genauer: mangelndes Selbstvertrauen.'
Wie einfühlsam. Solche Worte tun gut!
'Schriftsteller, die sich der Politik zuwenden, agieren so gut wie immer als Amateure - und wenn Sie Berufspolitiker werden, dann schaden Sie der Literatur, ohne der Politik zu nützen. Nein, Ihren Beruf wollten Sie im Ernst nie wechseln, aber an der Anerkennung als Politiker war Ihnen doch sehr gelegen.'
Prophetische Worte! Aber so etwas hat in einer Kritik nichts verloren. Es geht hier um den Autor, nicht um den Politiker GG.
'Willy Brandt suchte Ihren Ratschlag - und hat Sie bald bitter enttäuscht. Denn er brauchte Sie, solange er um die Macht kämpfte - und als er Bundeskanzler war, wollte er von Ihnen nichts mehr wissen. Irre ich mich, wenn ich vermute, Sie hätten dies nie ganz verwunden?'
Immer schlimmer! Der Autor soll sich als Person rechtfertigen. Der Kritiker stellt Fragen, anstatt die der Leser zu beantworten!
'Allerdings vertraten Sie Anschauungen, für die die Mehrheit kein Verständnis hatte. Sie blieben allein. Das spricht noch nicht gegen Sie.'
Zwar O.T., aber schön!
'Aber das hat Ihnen einen Schmerz zugefügt, mit dem Sie nicht zu Rande kommen konnten. Und haben Sie nicht gerade damals mit der Arbeit an Ihrem Roman "Ein weites Feld" begonnen? Man hüte sich, schrieb Schiller, "mitten im Schmerz den Schmerz zu besingen".'
R-R zitiert Schiller! Von wegen, man muß zitiert werden, wenn man berühmt sein will!
'Ihnen haben - und wer dürfte Ihnen das verübeln? - Kraft und Mut gefehlt und jene Risikobereitschaft, die nötig ist, wenn man vor einem leeren Blatt Papier sitzt und erzählen möchte.'
Schau, schau!
'Sie, mein lieber Günter Grass, meinten, Sie seien, um das Erlebte vergegenwärtigen zu können, auf einen zentralen, auf einen möglichst originellen, wenn nicht gar skurrilen Einfall angewiesen, einen Einfall, der Ihren Roman tragen und zusammenhalten sollte.'
Hätte R-R solche Einfälle, wäre er auch Kandidat für den Literaturnobelpreis!
'Statt alle Skrupel und Hemmungen zu überwinden (ich weiß schon: solche Skrupel und Hemmungen sind bei einem weltberühmten Autor, der nicht mehr der Jüngste ist, besonders groß) und über Personen, Schauplätze und Begebenheiten so direkt und deftig, so süffig und saftig zu schreiben, wie nur Sie es können, statt sich also für die Flucht nach vorn zu entscheiden, hielten Sie einen weiten Umweg für nötig.'
Als Schmeichelei verpackte Gemeinheit!
'In einigen Kapiteln Ihrer "Blechtrommel" und in "Katz und Maus" ist diese Naivität sehr wohl zu spüren. Später verkümmerte sie und kam Ihnen schließlich abhanden - und das ist, vielleicht, die Krux Ihrer Epik.'
Endlich einmal eine sachliche Aussage!
'Sie haben alles getan, was in Ihrer Macht war, um aus Ihrem Theo Wuttke, der Fonty genannt wird, nun nicht gerade eine Wiedergeburt, doch immerhin eine Art Doppelgänger unseres Fontane zu machen...'
Genau diese Art inhaltlicher Kritik ist es, die mE einem Kritiker nicht zusteht. Der Autor kann seinen Stoff frei wählen!
'Was soll das? Wollten Sie uns etwa beweisen, daß Sie es nicht besser machen können als Fontane? Da hatten wir ohnehin keine Zweifel.'
Absolut unpassend und unsachlich!
'Mit seiner Besserwisserei in Sachen Fontane und mit der ewigen Zitiererei geht der Bürobote Fonty allen auf die Nerven - wie jetzt ich Ihnen, mein lieber Grass.'
für beware
'Dagegen läßt sich nichts machen. Weil ich ein professioneller Besserwisser bin? Nicht nur. Sie können ja beinahe alles besser als ich.'
für mausbacher
'Doch gibt es etwas, was ich mit Sicherheit besser kann als Sie - nämlich Ihr Buch beurteilen. Der Grund ist sehr einfach: Ich habe es nicht geschrieben.'
Das unterschreibe ich!
'Bei Lichte betrachtet, gibt es eine Figur namens Fonty in dem Roman "Ein weites Feld" überhaupt nicht. Nur diesen Namen gibt es.'
Einfach frech!
'Da in Ihrem Roman sehr wenig geschieht und Sie Hunderte von Seiten mit Reflexionen und Mitteilungen, mit Diskussionen und Briefen füllen, brauchten Sie für Ihren Fontane-Narr Fonty einen ständigen Begleiter, einen Gesprächspartner.'
Gehässig, aber ok.
'Ihrem Miniatur-Faust wollten Sie einen kleinen Mephisto an die Seite stellen. Den haben Sie aber nicht erfinden wollen, vielmehr haben Sie sich ihn aus dem 1986 erschienenen Roman "Tallhover" des Kollegen Hans Joachim Schädlich geholt.'
Wir klauen eben alle!
'Jedenfalls war es eine fatale Idee, neben das künstliche Geschöpf im Mittelpunkt, neben Fonty also, noch eine Marionette hinzustellen. Das Unglück, das schon geschehen war, wurde verdoppelt.'
Böse, aber in Ordnung!
'Ein so sorgfältig kalkulierender Artist wie Sie, Günter Grass, mußte irgendwann die Fragwürdigkeit, ja die Unmöglichkeit dieser Konzeption schon merken.'
Argumentum ad hominem. Besonders perfide!
'Vor bald 30 Jahren meinte ich, im Grunde seien Sie, obwohl es ein Roman war, der Sie berühmt gemacht hat, doch vor allem ein Geschichtenerzähler. Früher habe ich es bedauert, daß Ihnen in Ihren Romanen (anders als in Ihren glänzenden Erzählungen "Katz und Maus" und "Das Treffen in Telgte") keine Ganzheit gelingen will, daß Sie meist nur Bilder, Szenen und Episoden aneinanderreihen. Jetzt bedauere ich, daß wir in dem "Weiten Feld" derartige in sich geschlossene Abschnitte vergeblich suchen.'
Wer einmal etwas veröffentlicht, muß sich noch in 30 Jahren daran messen lassen!
'Ihr Fonty, lesen wir, vertraute dem Ich-Erzähler an, "daß er sich leergeschrieben habe". Um Gottes willen, sollte das für Sie selber gelten? Fonty gesteht knapp: "Mein Wörtersack ist leer . . . Kein Funke will springen." Aber nein: Ihr Wörtersack ist nicht leer, er ist sogar prallvoll, sein Inhalt purzelt ununterbrochen heraus. Doch in der Tat will kein Funke springen. Bescheidener ausgedrückt: Meist ergeben die klangvollen Wörter und Wendungen erstaunlich wenig oder gar nichts. Deshalb müssen wir, Ihre mittlerweile leidgeprüften Leser, stöhnend in Kauf nehmen, daß Sie sich ständig wiederholen.'
Jetzt wird's ganz böse!
'Rundheraus gesagt: Sie überfordern die Geduld selbst Ihrer gutwilligsten Leser. Und ganz schlimm wird es, weil Ihr möglicherweise etwas seniler Oberlangweiler Fonty nicht aufhören kann, über die Romane und Novellen des von ihm so geliebten Fontane zu sprechen, richtiger: zu plappern. Er kennt sie alle, er informiert uns, die wir diese Romane ebenfalls und meist schon in unserer Jugend gelesen haben, über einzelne Figuren und Motive. Aber, mein lieber Günter Grass, ich kann es einfach nicht fassen: In Ihrem "Weiten Feld" finden sich Tausende von Sätzen über Fontanes Epik - und darunter, sage und schreibe, kein einziger, der originell oder geistreich wäre. Wie ist das möglich? Ich gebe zu, ich bin ratlos, ich habe keine Antwort auf diese Frage.'
Es geht doch noch tiefer!
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