Ich möchte heute hier mal ein Thema anstoßen, das mir schon längere Zeit am Herzen liegt, und bei dem ich auch mit Überraschtsein und eventuell heftigem Widerspruch rechne.
Ich war von jeher dagegen, DIE Männer und DIE Frauen als 2 homogene Gruppen zu betrachten, deren Mitglieder man getrost über einen Kamm scheren kann. Dennoch gibt es - hier gemeint: im Bezug aufs Sexualverhalten - ein paar gemeinsame Merkmale, die jeweils in einer Mehrheit der Gruppe wahrscheinlich bzw. häufig zu beobachten sind.
Männliche Sexualität erscheint unter diesem Aspekt extrovertierter, aktiver, intensiver empfunden und vergleichsweise weniger partnergebunden im Vergleich zur weiblichen. Nicht grundlos gibt es eine ungeheure Zahl an Sexprodukten (vulgo Pornos etc.) und -leistungen für Männer, aber eine vergleichsweise winzige für Frauen. Weitere Belege für diese Sicht findet man, wenn man die Institutionen und Gepflogenheiten von Schwulen- und Lesbenszenen vergleicht, wo die Geschlechter unter sich sind und ihre Bedürfnisse sozusagen in Reinkultur ausleben können.
Ich betone es noch mal: Ich gehe nicht davon aus, dass diese Merkmale und Bedürfnisse die von ALLEN Männern und ALLEN Frauen beschreiben, aber sie betreffen schon auffällige statistische Häufungen.
Nun, um auf den Kern zu kommen: Mir scheint, dass wir als Gesellschaft uns langsam über den Punkt hinweg bewegen, an dem Frauen nur die rechtlosen Opfer der männlichen Beutegier sind, und Männer nur die dumpf triebhaften Täter. Natürlich bestreite ich nicht, das nach wie vor 95 % aller Sexualdelikte und sexistischen Äußerungen von Männern kommen. Doch in der Gegenreaktion wird allmählich das Kind mit dem Bade ausgeschüttet: Eine Frau auch nur wohlgefällig eine Sekunde zu lang anzuschauen, die sich entschlossen hat, ihre Reize (natürlich ganz absichtsfrei) möglichst optimal zu präsentieren, gilt bereits als Beweis verkommenster Gesinnung eines Sexismus-Dinosauriers aus dem vorigen Jahrhundert. Von gewissen moralisch beflügelten Kräften werden inzwischen selbst eindeutig ironische Darstellungen in der Werbung aufs Heftigste und ohne einen Funken Humor attackiert wie jetzt die Redcoon-Kampagne. Und so geht es immer weiter.
Im Kern wird introvertiert/zurückhaltendes Sexualverhalten (also das statistisch eher weibliche) als einzig statthaftes und mögliches dargestellt, und weil ja die tatsächlichen Übeltäter fast alle Männer sind, sind im Umkehrschluss nun alle Männer Täter, und ihr Tun, ihr Verhalten, steht von Vornherein unter Verdacht und Bann.
Das mag manchem absurd erscheinen, vor allem wenn man über den Tellerrand unserer mitteleuropäischen Wohlstandszone blickt. Doch ich lebe nun mal hier und nicht in Indien, und ich rede nicht von einem Freibrief für schändliches Verhalten, sondern davon, dass bei uns jedes Bewusstsein dafür zu fehlen scheint, dass wir hier a) die Problematik ungleicher Gruppen und Verhaltensgrundlagen haben und b) es auch eine Form der Ungerechtigkeit bedeutet, Ungleiches zur Gleichheit zu zwingen.
Was in unserer Gesellschaft in meinen Augen fehlt, ist ein Diskurs darüber, wie Verhalten und Verständnis beiden Interessenlagen gerecht werden könnten.
Nico S.