Ich weiß nicht, ob mich das zu einer "Spätzünderin" macht, aber ich hatte als Jugendliche tatsächlich noch keinerlei erotische Träume oder Fantasien von Menschen, mit denen ich intim werden, oder von Sexualpraktiken, die ich einmal erleben oder ausprobieren wollte.
Stattdessen waren meine erotischen Träume nach Form und Ablauf letztlich nicht viel anders, als sie, soweit meine Erinnerung zurückreicht, immer schon gewesen waren:
Im Wortsinne "Kopfkino", von mir in meiner Fantasie erdachte filmische Szenen, in denen ich selbst nur körperlose Beobachterin, hinter der vierten Wand aber natürlich eben auch Drehbuchautorin, Casterin, Regisseurin und Cutterin war.
Jeder dieser Filme - manchmal nur eine Szene an einem Schauplatz, manchmal eine Abfolge mehrerer Handlungsorte und -ereignisse - begann beim ersten Mal mit einer Idee, was ich die Hauptfigur tun oder erleben lassen könnte, und wo dies stattfinden sollte.
Darin tauchte ich zunächst ein, und mit jedem Anschauen des sozusagen Schnittmaterials in meinem Kopf formte ich einen Film näher und detaillierter nach meinen Vorstellungen, fügte zusätzliche Einstellungen hinzu oder ließ solche Weg, die mir nicht recht gefielen, verlängerte oder verkürzte Einstellungen, veränderte mal nur Blickwinkel, mal einzelne Bewegungen oder komplexere Abläufe, experimentierte mit Audiokommentaren oder Audiodeskriptionen, die ich mal die Hauptfigur und mal einen unbeteiligten Erzähler sprechen ließ. Manchmal speicherte ich in meinem Gedächtnis auch mehrere, in wesentlichen Punkten unterschiedliche Versionen eines Films, wenn ich mich für keine davon als meine definitive Lieblingsfassung entscheiden konnte.
Die Filme handelten dabei meistens von jugendlichen Mädchen oder erwachsenen jungen Frauen in eigentlich recht unspektakulären, weil mehr oder weniger alltäglichen Nacktsituationen, vor allem:
- beim Duschen oder Baden, zuhause oder in einem Gruppenduschraum (Schwimmbad, o. ä.);
- in der Sauna oder unter dem Solarium;
- beim FKK am Strand, an See- oder Flussufern (manchmal als geplanter Ausflug, manchmal als spontane Entscheidung);
- bei ärztlichen Untersuchungen (eher allgemeinmedizinische Untersuchungen "von Kopf bis Fuß", wie ich sie aus eigener Erfahrung kannte, keine gynäkologischen Untersuchungen - die fand ich nach zu vielen bebilderten Beschreibungen in der "Bravo" mit ausführlicher Darstellung des Freimachens des Ober- und Unterkörpers nur strikt nacheinander langweilig und unerotisch).
In der Regel waren sie dabei allein, oder außer ihnen nur noch Statisten anwesend, die aber nicht in die Handlung eingegriffen haben (darum mangels Dialogen gerne auch die schon erwähnten Audiokommentare oder Audiodeskriptionen).
Manche Filme handelten aber auch von gemeinsamen Erlebnissen oder Abenteuern guter Freundinnen, von denen die eine dann stets die mutigere, zeigefreudigere, genießerischere o. ä. war, die ihre eher zurückhaltende Freundin zunächst damit entsetzte, sich an einem dieser unpassend scheinenden Ort auszuziehen, letztlich machte diese dann aber auch mit, und hatte ebenfalls Spaß. (Mehr ist dabei zwischen ihnen aber nie passiert.)
Neben diesen soften und harmlosen Filmchen gab es jedoch - und das war, im Gegensatz zu vorbeschriebenen Sujets, tatsächlich eine Neuerung meiner Teenagerzeit, solche Fantasien hatte ich früher noch nicht gehabt - auch einige, jedenfalls für meine Verhältnisse als behütet aufwachsende, romantisch und optimistisch, unbestreitbar wohl etwas naiv verträumte Jugendliche durchaus "härtere" Geschichten:
Etwa von dem hübschen Mädchen, über das gehässige Mitschülerinnen aus Neid das Gerücht erfinden, es würde zuhause missbraucht, wovon die Lehrer erfahren und das Jugendamt informieren, das das Mädchen eines Tages aus der Schule abholt - zur amtsärztlichen Untersuchung und Spurensicherung an seinem Körper, einschließlich Fotodokumentation für die Akte. Während dieser erniedrigenden Prozedur weint es natürlich ganz bitterlich, und fleht vergeblich darum, das alles nicht mir ihr zu tun, die Behauptungen ihrer Mitschülerinnen stimmten doch gar nicht, man müsste diese nur fragen ...
Die Darstellerinnen meiner Filme - jugendliche Mädchen ab der Pubertät, und junge Frauen in der Regel bis Mitte zwanzig, manchmal vielleicht auch bis um die Dreißig, oder so - entnahm ich Filmen, Fernsehserien, -shows, -magazinen und -reportagen, Zeitschriften oder Werbeplakaten.
Wenn ich nicht wusste, wie eine von ihnen tatsächlich nackt aussah - was abgesehen von manchen Schauspielerinnen (insbesondere den Darstellerinnen aus im Fernsehen zugelassenen und darum für mich zugänglichen Erotikfilmen), unbekannten Models in der "Bravo" oder ebenso unbekannten Laiendarstellerinnen in ominösen RTL-II-Reportagen u. ä . der Normalfall war - ließ ich auch in dieser Hinsicht meine Fantasie spielen, analysierte durch ihre Kleidung, wie groß ihr Busen wohl wirklich war, welche Farbe ihr Schamhaar haben könnte, welche Form zu ihnen passen würde usw.
Gleichaltrige Mädchen aus meinem realen Lebensumfeld spielten in meinen Fantasien übrigens praktisch keine Rolle, was ich auf die grässliche Mode der 1990er Jahre schiebe:
Sofern jugendliche Mädchen nicht in modisch noch übleren Subkulturen - Punks, Skater, Gothics, Gabbers, Hip-Hopper usw., selbst auf dem Dorf hatten die damals alle je einen bis zwei Vertreter aus beiden Geschlechtern - versunken waren, trugen sie standardmäßig Jeans, Pullover oder Sweatshirt, alternativ sogar Flanellhemd, und Chucks oder Doc Martens, die kinn- bis maximal schulterlangen Haare wurden mit einem Haargummi zu einem schlichten Zopf zusammengebunden.
Ich fand das einfach fürchterlich abturnend, war aber weit und breit die einzige Vertreterin meiner Generation, die - sehr zum Leidweisen ihrer Eltern - aus aufmerksamen Beobachtungen in den 1980ern noch wusste, was etwa Stretchröcke, Nylonstrumpfhosen, enganliegende und/oder ausgeschnittene Oberteile, sowie Damenschuhe, Stiefel oder Stiefeletten mit Absatz sind.
Mein betont femininer Kleidungsstil, mein auffallendes Höhenwachstum (das erst bei 182 cm enden sollte), meine steten Ankündigungen, nach dem Abitur das Dorf für immer verlassen zu wollen, um eine reiche und mächtige Geschäftsfrau, wahrscheinlich in den USA zu werden (wie ich mich oben eben charakterisierte: verträumt, optimistisch, naiv), sowie meine Nichtbeteiligung am dörflich-jugendlichen Partnerschaftsmarkt - aus Gründen, die zur gegebenen Zeit am gegebenen Ort tatsächlich jenseits der Vorstellung der meisten Jugendlichen und Erwachsenen lagen - machten mich über weite Strecken meiner Teenagerzeit zur Außenseiterin.
Erst später, so mit 17, 18 Jahren änderte sich das, als beide Seiten etwas ruhiger, reifer und toleranter geworden waren.
Romantische oder sexuelle Gefühle für eine Mitschülerin o. ä. ergaben sich trotzdem nicht (mehr), und meine ersten realen sexuellen Erfahrungen habe ich dann einige Zeit später mit einer Frau bereits in der zweiten Hälfte ihrer Zwanziger gemacht.