Eine der berühmtesten bildlichen Interpretationen des Danae-Mythos ist die von Tizian, die in mehreren Fassungen existiert.
Mir hat es Spaß gemacht, berühmte Gemälde mit einer textlichen Version des Mythos zu vergleichen. Vielleicht gibt
es unter den Usern ja auch den einen oder anderen, der sich für vergleichende Kunstkritik interessiert?
Die Dissertation an der Universität Wien von Markus Fellinger, Tizians Danae als gemalte Poesie(2010), gibt zahlreiche neue
Einblicke. Einige für die Thematik des SB wesentliche greife ich hier heraus.
Für die Zeitgenossen Tizians war die Darstellung der menschlichen Nacktheit in Bildern
und Skulpturen durchaus noch ein besonderes Problem. Die ersten Aktbilder der
Renaissance waren noch in den religiösen Bildern zu finden gewesen, und
befanden sich somit in einem Bereich, der eine (absichtliche) erotische Wirkung
eindeutig ausschloss. (Fellinger a.a.O)
Man malt also Aktbilder, die nicht absichtlich erotisch sein dürfen!
Ein krasser Gegensatz zu den antiken Statuen und Darstellungen mit provozierender Nacktheit.
Das Ganze erinnert ein wenig an "Aufklärungsfilme" von vor einigen Jahrzehnten.
Es braucht einen passenden, allgemein akzeptierten Vorwand, um Nackte zeigen zu können.
Für mythologische Szenen oder Figuren ... wurde die Nacktheit zunehmend
akzeptiert, wozu auch die Tatsache beitrug, dass die Welt der Mythologie nicht
als historische Realität, sondern als bloße Erfindung angesehen wurde, und rein
erfundene Personen (zudem keine Christen) auch nicht durch die Darstellung ihrer
Nacktheit entehrt werden konnten. (Fellinger)
Also fiktive Personen dürfen nackt sein. Wir tun uns ja auch mit erfundenen erotischen Geschichten leichter als mit
Sexskandalen bekannter Personen.
Allerdings scheinen sich in Tizians Oeuvre die Darstellungen nackter Frauen mit
der Zeit immer mehr zu individualisieren, und sich mehr der Ansicht von echten
Aktportraits anzunähern. Es tritt immer mehr der Mensch zutage, und immer
weniger die idealisierte Göttin, das Gesicht des Modells verdrängt in den
mythologischen Gemälden zunehmend die Gesichter der antiken Statuen. (Fellinger)
Klarerweise wollen die Auftraggeber reale nackte Personen, die sie selbst
kennen, dargestellt haben und nicht idealisierte Götterbilder. So wie wir
lieber Aktfotos von bekannten Models sehen als die von der Frau von nebenan
(außer mausbacher natürlich!)
Es bleibt also nicht viel mehr von der Göttin als ihr Name, den sie der ... anonymen
nuda leiht, um die Darstellung ihrer Nacktheit zu rechtfertigen. Wir haben es
hier also offensichtlich mit einem Bildnis einer jungen Frau als Venus zu tun,
so wie wir ... die Farnese-Danae als Bildnis einer Kurtisane, die als Danae
posiert, kennengelernt haben.(Fellinger)
Der Trick: Man versetze die gewünschte Kurtisane in eine mythologische
Situation und alles ist gut. Auch Filme mit ihren vielfältigen Rollen eignen
sich dafür gut. Der Betrachter interessiert sich für die Schauspielerin,
dargestellt wird aber die Person der Filmhandlung.
Die Farnese-Danae ist nun eine völlig neue, eigenständige Aktfigur, die nichts
mehr mit dem Vorbild der antiken Venere zu tun zu haben scheint, vielmehr
scheint sie als Ganzes nach der Natur, d.h. nach dem nackten Aktmodell, gemalt
zu sein. Ein wichtiger Unterschied ist nun, dass Danae als mythologische Figur
keine Göttin, sondern eine sterbliche Prinzessin ist, wodurch sich in diesem
Fall kein so großer Konflikt ergibt, wenn sie als menschliches Individuum
dargestellt wird, anstatt mit den idealisierten Gesichtszügen der antiken
Götterfiguren. (Fellinger)
Bei einer weniger prominenten Protagonistin kann man noch leichter Anspielungen machen.
Nur Unsterbliche sind sakrosankt! Ein Westerngirl oder ein Blumenmädchen kann
ein Fantasiekostüm oder fast nichts anhaben, eine historische Königin oder
Künstlerin darf nicht so ohne weiteres "erotisiert" werden.
Mit der Profanisierung der mythologischen Figuren, ihrer Darstellung als lebende Menschen,
geht natürlich auch eine Steigerung ihrer erotischen Wirkung einher. (Fellinger)
Dafür sind sie natürlich auch sexy. Das Aktmodell gleicht der eigenen Geliebten!
Die Danae hingegen bleibt in ihrer eigenen Wirklichkeit. Ihr Gegenüber, Jupiter
in der Wolke, kann (aber muss nicht) als Identifikationsfigur des
Betrachters/Auftraggebersdienen, der sehr genau weiß, dass zwar die „echte“ Danae die Geliebte Jupiters war, die
gemalte Danae jedoch rein für ihn selbst da ist. Somit kommuniziert auch hier
die Jungfrau, obwohl nur indirekt, mit dem Betrachter. (Fellinger)
Und schon identifiziert sich der Betrachter (Auftraggeber) mit dem göttlichen Liebhaber.
Die dargestellte Frau gehört ihm ganz allein, möchte er glauben. So wie der
Leser eines Buches oder Betrachter eines Film ja davon oft ausgeht, daß die
Protagonisten nur für ihn da sind.
Diese Figur kommuniziert (jedoch -Anm.) in keinster Weise mit dem Betrachter. Sie spürt nicht den Blick des
voyeuristischen Betrachters/Malers, und fühlt sich unbeobachtet, ihre Nacktheit
hat keine erotischen Gründe, und der Betrachter kann sich demnach auch nicht
als ihr Liebhaber identifizieren, sondern höchstens als Voyeur. (Fellinger)
Schlaue Künstler lassen den Betrachter aber nicht als handelnde Person
teilnehmen, sondern nur als Beobachter. Damit verliert das Werk zwar die
Exklusivität, ist aber fungibler, weil sich jeder als Voyeur fühlen kann, nicht
nur der erste Auftraggeber.
In den Danaebildern wird zwar die mythologische Erzählung wieder zu einem wichtigen
Teil des Bildes, aber auch hier bleibt die erotische Darstellung einer
lebendigen nackten Frau ein entscheidendes Charakteristikum der Gemälde. Die
Verwendung von mythologischen Stoffen dient also bei diesen Bildern auch einer
Verschleierungsstrategie, die die erotische Darstellung nackter junger Frauen rechtfertigt,
ebenso wie es auch bei der Allegorie oft der Fall ist. Eine erotische
Aktdarstellung ohne eine solche Verkleidung wäre nach den damaligen Vorstellungen
gefährlich nah an den Bereich der Pornographie geraten, und daher für einen „offiziellen“
Auftrag schlicht und einfach unzumutbar. (Fellinger)
Kunst statt Pornographie! Das ist die Lösung! Unter dem Deckmantel der freien Künste
geht so manch eine Schweinerei durch, auch heute!
baer