Ich will es einmal umgekehrt versuchen und schließe an den Thread über Inzest an:
Was gilt als "Unzucht" und ist das ein Maßstab für sexuelle Freizügigkeit?
Die Sprache der Gegenwart hat sich freilich vom moralisierenden Begriff „Unzucht“ verabschiedet und ihn beispielsweise bei der deutschen Strafrechtsreform 1973 durch den allgemeinen Begriff der "sexuellen Handlungen" ersetzt.
Es wurde auch die Strafbarkeit der Sachverhalte, die früher unter "Unzucht" subsumiert wurden, eingeschränkt. Gleichzeitig wird die Thematik differenzierter Betrachtet und negativ gesehene Sachverhalte als "sexueller Missbrauch", "sexuelle Nötigung", "sittliche Gefährdung" und "abartige Sexualpraktiken" bezeichnet.
Unter Strafe gestellt bleiben etwa:
der Sexuelle Missbrauch von Kindern,
die Vergewaltigung,
die Kinderpornografie,
die sexuelle Nötigung,
der Inzest,
die Ausübung nekrophiler Neigungen und
die Verbreitung von Zoophilie.
Mitunter werden Sadismus und Masochismus sowie teilweise auch Fetischismus als sexuelle Deviationen bezeichnet und dann ebenfalls der Unzucht zugerechnet. Der Besuch von Bordellen bzw. der Ehebruch werden nur teilweise als Unzucht angesehen.
Bis in die 1960er Jahre wurden in westlichen Ländern beispielsweise
die Masturbation,
der voreheliche Geschlechtsverkehr,
Homosexualität und
Ehebruch
als Unzucht bezeichnet. Diese Einordnung ist je nach religiösem und ethischem Umfeld auch heutzutage anzutreffen. Entsprechende Spielarten der Sexualität werden aber in den westlichen Ländern im Rahmen der kulturellen Liberalisierung und des Prinzips der sexuellen Selbstbestimmung nicht mehr strafrechtlich verfolgt und in zunehmendem Maße in der Gesellschaft akzeptiert.
„Unzucht“ ist als Begriff zur Beurteilung von Handlungen weitgehend zeitabhängig und relativ. Was in einer Zeit als zivilisierte Lebensart („Zucht“) galt oder wenigstens toleriert wurde, ist es im Wertesystem einer anderen Zeit nicht, wird umgewertet und verfolgt („Un-Zucht“).
Beispiele:
Die Prostitution erfreute sich im antiken Persien allgemeiner Wertschätzung. Gesellschaftlich hochgestellte Personen etwa billigten die Teilnahme der eigenen Töchter an der Tempelprostitution.
Homosexualität im antiken Griechenland war je nach Polis und Epoche toleriert bis akzeptiert.
Die Päderastie wurde in den Liedern bekannter Poeten besungen.
Das jüdische Gesetz (Tora) setzte neue moralische Maßstäbe und brandmarkte diese Formen der Sexualität als Unzucht. Das Christentum hat dies überwiegend übernommen, wie vor allem im Beschluss des Apostelkonzils und vielen Passagen in den Briefen des Paulus deutlich wird. Im Neuen Testament wurde der griechische Begriff porneia für die deutsche Übersetzung Unzucht verwendet, er weist auf Pornographie als unzüchtigen Umgang mit Sexualität hin.
In der Folge wurde Unzucht ein rechtlicher Begriff für sexuellen Missbrauch von Personen. Dabei unterschied man von der Notzucht (Vergewaltigung): Die Unzucht waren sämtliche Delikte, die den gültigen sexuellen Sittlichkeitsnormen widersprachen.
Umgangssprachlich wurde der Begriff der Unzucht für alle anderen sexuellen Verhaltensweisen verwendet, die nicht dem heterosexuellem Umgang innerhalb der Ehe entsprachen. Als Gewerbsunzucht wurde dem entsprechend die Prostitution bezeichnet.