Eva horchte tief in sich hinein. War da eine geheime Sehnsucht, "überzogene Moralvorstellungen" zu überwinden? Hatte Sie sich insgegheim irgendetwas gewünscht, von dem ihre Erziehung sie abgehalten hätte? Sie konnte nichts dergleichen finden. Selbst eine kritische Introspektion förderte nur ihre Zufriedenheit mit ihrem bisherigen Leben zu Tage. Sie empfand sich als selbstbestimmten Menschen, der jeden Grund hatte, sein Leben zu genießen. Sie hatte einen gut bezahlten Job, genoß alle Freiheiten, die eine große deutsche Stadt zu bieten hatte, hatte ein gesellschaftlich reiches Leben und erfüllte sich auch sexuell alle Wünsche, die so auftauchen mochten. Nein, da war nichts, was tief in ihr geschlummert wäre.
Mit einem Mal wusst Eva, was jetzt zu tun sei. Sie zog sich dieses Nuttenkleid aus, eine bequeme Baumwollunterhose und ihren Hausanzug an und kramte in den Tiefen ihres Kleiderschranks ihr Meditationskissen heraus. Während ihres Studiums hatte sie über einige Semester hinweg einen Kusr in Zen-Meditation besucht und nach monatelangem sitzen diesen wundervoll leichten Zustand erfahren, in dem sich der Körper scheinbar auflöst und du dich fühlst, as wärest du das ganze Universum und gleichzeitig nichts. In diesem Zustand hatte sie alle ihre wichtigen Entschlüsse gefasst und sich von allen Altlasten getrennt - auch von ihrem langjährigen Lebenspartner.
Doch an diesem Abend wollte der Zustand inneren Friedens nicht eintreten. Eva wusste, dass man ihn nicht erzwingen konnte, doch war es ihr bisher nie schwer gefallen ihn zu erreichen. Nicht heute. Ständig kamen die Bilder in denen sie sich selbst von außen betrachtete. Nackt vor dem "Wortmagier", mit unbarmherzig geöffnetem Geschlecht in der Starßenbahn, in dem Nuttenkleid nach Hause wankend. Ekel über sich selbst stieg in ihr auf und wieder war sie den Tränen nahe.
Es war schon weit nach Mitternacht, als Eva endlich aufgab und zu Bett ging. Den Vorsatz, Widerstand zu leisten, hatte sie tief verankert und war felsenfest überzeugt, dass sie es auch konnte.
Trotz der kurzen Nacht erwachte Eva am nächsten Morgen frisch und ausgeschlafen nach einem traumlosen Schlaf. Sie freute sich auf einen angenehmen Arbeitstag ohne Kundentermine, and dem sie endlich ihre E-Mail aufarbeiten und die Projektdokumentation auf den neuesten Stand bringen konnte. So unbeschwert ging ihr die morgendliche Routine von der Hand, dass sie erst beim ersten Klogang im Büro merkte, dass sie unter Jeans und T-Shirt wieder keine Wäsche trug.