Nun hab ich's endlich auch mal geschafft, beide Teile in Ruhe und am Stück zu lesen ...
... und leider haut's mich nicht vom Hocker. Die Story ist schön und sauber geschrieben, wie man's von baer gewohnt ist, liest sich angenehm und flüssig - soweit, so gut. Leider kann mich aber der Plot überhaupt nicht fesseln. Das liegt zum Teil gewiss daran, dass ich bei baer deutlich höhere Erwartungen habe als bei einem xbeliebigen Anfänger.
Ich will die Story nicht als platte Wivola abtun, doch weit entfernt davon ist sie nicht. Das ganze Drum und Dran, die Hinleitung und Begründung des eigentlichen Geschehens ist lieblos aus der unteren Schublade des Baukastens zusammengeklaubt. Der Auftritt der Küstenwache wirkt tatsächlich sehr künstlich eingeflickt; so wäre es an einem realen Strand praktisch unmöglich, das Motorgeräusch zu überhören, und das Timing ist mir auch etwas zu herbeigezwungen. Was ein wenig irritiert, ist aber schon die Ausgangssituation: Isabell wirkt nicht wie eine Debile. Eine solche Frau würde sich ja wohl vorher ein, zwei Gedanken machen, wie das ausgeht, wenn eine splitternackte, knackige 19-Jährige tagelang vor der Nase ihres Partners herumturnt. Dass sie diese Situation erst in platter Naivität herbeiführt und dann nicht auf einen flotten Dreier, sondern auf die eifer- und rachsüchtige Furie zusteuert, bildet einfach einen logischen Bruch. Anders wäre diese Entwicklung zu beurteilen, wenn Sabine durch einen überraschenden Zufall zu dem Pärchen gestoßen wäre, z.B. nachdem sie aus Seenot gerettet wurde.
An dieser Stelle kommt für mich ein weiterer Aspekt hinzu. Einem Autor von baers Qualitäten unterstelle ich einfach, dass er die Geschwindigkeit beherrscht, mit der sich eine gute Geschichte entwickelt. Allein das - naheliegende - Fallenlassen aller Hüllen auf dem Boot hätte eine deutlich spannendere Entwicklung abgegeben, z.B. indem es im Vorfeld zwischen den Frauen dazu eine Verständigung hätte geben können etc. So wirkt das Nacktbaden und -bleiben von Sabine gleich zu Anfang nicht selbstverständlich, wie der Autor das gern hinstellen möchte, sondern herbeigezwungen. Isabell wirkt auf mich nicht wie eine wirklich enge Freundin von Sabine, und Klaus ist ein Fremder. Dass eine 19-Jährige, die als Gast mit diesem Paar auf engstem Raum zusammenkommt, dann einfach übergangslos und ungefragt blank zieht, ist zwar nicht unvorstellbar, hätte aber einer weit sorgfältigeren Hinführung bedurft.
Und ähnlich hastig geht es weiter. Schon auf der 2. Manuskriptseite laufen Schwanz und Mösen heiß, wonach dann aber zu Beginn des 2. Teils die Story völlig die Richtung ändert - was an und für sich ein guter narrativer Zug wäre, wäre dies im ersten Teil bereits angelegt gewesen.
Da ich nun selbst schon Einiges auch an längeren Texten geschrieben habe, fällt mir bei diesem Beispiel einmal mehr recht deutlich auf, wie schwierig das ist, erst recht, wenn man's in Einzelteilen veröffentlicht. Dabei kann ich nur wiederholen, was ich hier sicher schon einige Male ausgeführt habe: Längere Geschichten wirken nur, wenn sie von Anfang an bis zum Ende durchkonstruiert sind, am besten auch fertig geschrieben, bevor der erste Teil erscheint. Ich komme immer wieder an Punkte, an denen ich Anfangskapitel umschreiben muss, weil sich die Dinge später anders entwickeln, als man's zuerst dachte. Ich habe z.B. seit Jahren den Anfang eines Mehrteilers in der Schublade liegen, an dem ich immer mal wieder versuche, weiterzuschreiben, aber die Story, die ich mir vorgenommen habe (und die gewiss einen tollen Stoff abgäbe) will einfach nicht so, wie ich das will.
Soweit erstmal von mir. Ich traue baer sehr wohl zu, dass er Logik und Erzählfluss in den Griff bekommt, aber ich kann nur warnen, mit längeren Mehrteilern so zu verfahren wie mit den üblichen Superkurzgeschichten: "einfach mal schnell eben so" funktioniert da nicht, es sei denn, man verlässt sich darauf, dass niemand den Mehrteiler im Zusammenhang liest.
Nico S.