Die Scham der Männer - angeboren oder anerzogen?

  • Ich hoffe, ihr haut mich nicht, wenn ich ein neues Thema aufmache, obwohl ich die Frage auch im "originalen" Scham - angeboren-oder-anerzogen?-Thread hätte stellen können.


    Ich bin Verfechter der Meinung, körperliche Scham sei eine natürliche Emotion, die zur Spezies Mensch gehört, wie auch die Fähigkeit zum abstrakten Denken und zur Kommunikation. Scham hat mit Gewissen und mit Bewertung (Moral) zu tun und mit dieser Veranlagung kommen Menschen nun mal zur Welt, mit anderen Worten - jeder Mensch kennt das S-Gefühl von Kindesbeinen an, d.h. hat es mindestens einmal erlebt.



    Was die Scham bei sichtbarer, männlicher Erregung angeht, habe ich folgendes gelesen:


    Erektionsangst Es ist die neurotische Angst des Mannes, dass sein Glied sich unerwarteterweise erheben könnte und die Erektion durch die Hose sichtbar wird. Hinter der E. verbirgt sich Angst vor Sexualität, die dem Kind von seinen Eltern eingeimpft worden ist.


    Ziemlich altertümlich formuliert, wie ich finde, aber den Inhalt finde ich doch spannend.


    Was ist eure Meinung dazu?


    PS. Erinnerungen an meine Kindheit schreibe ich im nächsten Beitrag, sofern hier Resonanz kommt :D

  • Das ist für uns Laien eine kaum schlüssig zu beantwortende Frage. Ich kann also nur von meinen persönlichen Erfahrungen und Gedanken dazu ausgehen.


    Schamempfinden an sich ist für mich tatsächlich eine Grundkonstante. Man schämt sich ja nicht nur bei Entblößung von Körperteilen, sondern auch aus anderen Anlässen ... wenn man z.B. wörtlich oder bildlich mit den Fingern in der berühmten Keksdose erwischt wird. Das aber führt mich auch zu dem Ausgangspunkt, dass Scham die Reaktion ist, die man eben - unwillkürlich - zeigt, wenn ein nicht sanktioniertes Verhalten plötzlich offenkundig wird.


    Damit aber komme ich zu dem Punkt, dass Scham auf Grund von Entblößung, körperlicher Nacktheit an sich und deren Sichtbarkeit für andere eben nicht angeboren sein kann. Das Nacktheitstabu ist - abgesehen von seinen klimatischen und gesundheitlichen Aspekten - ein rein kulturelles, oft auch ästhetisches. Bei einer angeborenen und damit unausweichlichen Schamhaftigkeit gäbe es z.B. keine Gemeinschaftssauna oder FKK-Strände.


    Wenn man wie ich in einem sehr körperbewussten und -freudigen Elternhaus aufgewachsen ist, wo FKK Baden schon sehr früh üblich war, hat man mit Scham z.B. deutlich weniger Probleme als jemand, der diese Erfahrungen nicht gemacht hat.


    Bei der männlichen Erektion nun ist vor allem zu bedenken, dass diese ... auch gesetzlich bewehrt ... immer noch ein sehr starkes Tabu in unserem Kulturkreis ist. Erektionen zu zeigen ist in den Medien nur unter strengsten Auflagen möglich, selbst in FKK-Bereichen unüblich, meistens auch unerwünscht. Ich habe mir jedoch zu Recherche-Zwecken gerade erst eine große Zahl Fotos der [URL=http://www.google.de/search?um=1&hl=de&safe=off&q=folsom+street+fair+san+francisco&bav=on.2,or.r_gc.r_pw.r_qf.&bpcl=38625945&biw=1920&bih=963&ie=UTF-8&tbm=isch&source=og&sa=N&tab=li]Folsom Street Fair[/URL] in San Francisco angeschaut. Hier zeigt sich deutlich, dass ... wenn die "kulturelle Umgebung" positiv dazu eingestellt ist ... auch das eregierte Glied in der Öffentlichkeit problemlos vorgeführt werden kann.


    Noch ein kleiner Seitenaspekt: Mir ist keine Säugetierart bekannt, bei denen sich die Männchen scheuen, ihre Erektion sehen zu lassen. Auch das scheint mir deutlich auf eine kulturelle Ursache beim Menschen hinzuweisen.


    Fazit: Die Grundfähigkeit eines Schamempfindens mag angeboren sein. Bei welchen Gelegenheiten es auftritt, ist Erziehung bzw. gesellschaftlich und kulturell geprägt.


    Nico S.

  • Hey, danke für den Tipp mit Folsom Fair... *daumenhoch* :)


    Hehe, wenn ich in meinen Erinnerungen krame, dann lief es bei mir wohl beispielhaft "soziologisch" ab: als Kleinkind habe ich "das" bei mir bemerkt und als ganz normal empfunden. Meine Ma (kommt aus einem ziemlich prüden Land ohne FKK :D) hat es ab und zu bemerkt und ein Kosewort dafür benutzt, humorvoll und ohne Böses.
    Ich war vllt. 7 Jahre alt, da wurde mit den Jungs aus unserer Klasse und Älteren ein Lied einstudiert und während wir sangen, flüsterte mein Nachbar mir ins Ohr: "... hat nen Steifen", was durch ...'s Jogginghose auch deutlich zu sehen war. ... hatte auch einigen Leuten verraten, dass er auf die Chorleiterin stand.
    Da hatte ich also "gelernt" 1. dass das wohl jeder Junge kennt, und 2. dass darüber geflüstert wird, also ist es was peinliches. 8o :rolleyes:


    Vermutlich im Gegensatz zu dir, Nico, habe ich aber nie mit Vater oder Bruder über sowas gesprochen/sprechen können und kenne kein FKK als Teenager. Mit 12, 13 fing ich an, zwei Badehosen übereinander zu tragen, denn die Angst vor der "Blamage" war meine größte Sorge. Ein bester Freund von mir und ich, wir bestärkten uns wohl darin. Ich ärgerte mich über die ständigen E. beim flüchtigen Gedanken an irgendetwas beliebig Sexuelles, konnte nicht ohne Latte duschen, nackt vor den Spiegel oder einen kurzen, bewussten Blick auf ihn werfen, ohne dass gleich Blut hineinpumpte. Nackt war für mich immer gleich Sex.
    Wahrscheinlich habe ich in dieser Zeit aber mehrmals unbewusst auf "exhibi" gemacht, gegenüber älteren Jugendlichen. Irgendwie trieb es mich wohl, eine Reaktion zu provozieren, ob meine Latte nun *schäm* war oder *egal* oder was auch immer.
    Ältere Mädchen (die davon nicht wussten bzw. nix damit zu tun hatten) haben mich auf dem Nachhauseweg mal gehänselt und begrapscht, sagten dabei "ooh, jetzt kriegt er sicher nen Steifen..." etc.
    Ein, zwei weitere solcher Vorkommnisse über die Jahre verteilt, und fertig war mein ewiges Gedankenkreisen um die "Erektionsangst" :D


    Geändert hat sich das erst durchs erste Mal Perreo Tanzen mit einer Unbekannten, sowie später durch meine erste Freundin, vor der ich wohl das erste Mal in meinem Leben nackt, geil und zugleich frei war. Ich konnte es endlich ohne Verlegenheit genießen, körperlich frei ohne Kleidung und mental befreit von der Scham über die eigene Geilheit.

  • Hier hab ich's wieder gefunden. Also, wenn ich den Abschnitt "Historische Zeugnisse" richtig verstehe, dann kennen auch die im Lendenbereich nackten Völker so ein Tabu. Der Penis soll auch oder insbesondere (da hüllenlos sichtbar) bei diesen Völkern im richtigen Moment - oder in Anwesenheit der richtigen Frau - "funktionieren" und sich ansonsten nicht regen.


    Ich stelle mir vor, dass unsere nacktlebenden Vorfahren der Größe (voll erigiert), Standhaftigkeit und Potenz eine hohe Bedeutung beimaßen, schon deshalb hatten die weniger "gut Bestückten" ein Interesse daran, dass Machtdemonstrationen nicht mehr auf dieser Ebene stattfanden.
    Das zweite Problem ist viel naheliegender - eine E. vor einer Frau des Bruders, Nachbarn etc. hatte in der Frühphase der Menschheit sicher nicht zur Folge, dass man sich entschuldigte und auf damals noch nicht erforschte körperliche Reflexe verwies - oder sagte: "ich hab grad an was ganz anderes gedacht" :D
    Schlimmer noch Männer unter sich. E'n können ansteckend wirken und Homophobie gab es sicher auch von Anfang an.
    Also wählten die meisten Gesellschaften wohl den Lendenschurz als Lösung, und einige wenige blieben weiterhin nackt, aber mit früh antrainiertem Erektionstabu. Es soll auch als Affront gelten, den Schoß des Gegenübers (egal, m oder w) offensichtlich anzusehen... also eigentlich ziemlich prüde Völkchen, wenn ich das richtig sehe :evil:

  • Kleiner Nachtrag: Wir haben hier im SB ja die Fantasy-Kategorie Insel der Scham. Leider wird es viel zu selten aufgegriffen; die meisten Autoren können der Idee offenbar nichts abgewinnen.


    Im Zusammenhang mit dem von dir aufgeworfenen Thema ist vielleicht meine 3-teilige Erzählung "Alles Trainingssache" (Links unten) interessant: Hier verfolge ich das Gedankenspiel einer gleichsam umgekehrten Scham und versuche zu schildern, wie eine junge Frau, die vollständig nackt aufgewachsen ist, reagieren könnte, wenn sie gezwungen werden soll, in die Welt der Bekleideten überzusiedeln.


    Was deine biografische Schilderung betrifft: Ich finds toll, dass du es jetzt zumindest so sehen / darstellen kannst, und ich wünsche dir sehr, dass du das Maß an Freiheit finden bzw. nutzen kannst, das du dir wünschst!


    Nico S.



    Alles Trainingssache (1) 
    Alles Trainingssache (2) 
    Alles Trainingssache (3)

  • Nico, dein Link hält nicht das, was dein Text verspricht :D


    Die erste tatsächlich erkennbare unzensierte Erektion ist so etwa ab Ergebnisseite 12 ;)



    Nicht dass ich drauf stehen würde, aber ich finde aus den Gründen, die hier genannt wurden (Erektions-Scham), öffentliche Erektionen durchaus spannend ^^

    Hier gibt es Leute, die im Namen der political Correctness ehrliche Menschlichkeit vernichten um sich zu profilieren.


    So lange diese wandelnde Beleidigung hier sein Unwesen treibt, bin ich hier weg!
    Ciao

  • Man muss nicht die Bilder einzeln anklicken, sondern die zugehörigen Websites durchblättern. Ich wollte mit dem Direktlink lediglich eine kleine Hilfe für den Einstieg geben, keine erschöpfende Bildershow.


    Nico S.

  • Scham und Lüge haben beide eines zur Voraussetzung: Das Wissen um die (möglichen) Gedanken des anderen. Das geht erst mit abstraktem Denken, das ein Kind erst ab 3 oder 4 Jahren leisten kann. Deswegen schämen sich kleine Kinder nicht – und können natürlich auch nicht lügen.

    Oder anders gesagt: Nur weil wir denkenden Wesen sind, können wir uns auch schämen. Für was wir uns schämen, ist jedoch kulturell bedingt. Warum sich praktisch die ganze Menschheit für das Entblößen der Geschlechts-Teile schämt, ist meines Wissens noch nicht eindeutig geklärt.

    Ich vertrete die Auffassung, dass die Bedeckung einen evolutionären Vorteil gehabt haben musste. Es könnte sein, dass wir dadurch weniger von der Arbeit abgelenkt wurden und werden – und diejenigen, die arbeiteten statt sich dauernd zu vergnügen, z.B. durch bessere Vorsorge besser durch das Leben kamen, sprich mehr (lebende) Nachkommen hinterließen als die, die weiter ganz nackt umherliefen und vögelten wann immer ihnen danach war.

    In Kleinigkeiten wundern wir uns nicht über die Geschmacksunterschiede. Aber sobald es sich um die Wollust handelt, geht der Lärm los. - Marquis de Sade in Justine oder die Leiden der Tugend

  • Der Fall des Menschen


    Gen 3, 1-8


    Die Schlange war schlauer als alle Tiere des Feldes, die Gott, der Herr, gemacht hatte. Sie sagte zu der Frau: Hat Gott wirklich gesagt: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen? Die Frau entgegnete der Schlange: Von den Früchten der Bäume im Garten dürfen wir essen; nur von den Früchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht, hat Gott gesagt: Davon dürft ihr nicht essen und daran dürft ihr nicht rühren, sonst werdet ihr sterben.
    Darauf sagte die Schlange zur Frau: Nein, ihr werdet nicht sterben.
    Gott weiß vielmehr: Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse.
    Da sah die Frau, dass es köstlich wäre, von dem Baum zu essen, dass der Baum eine Augenweide war und dazu verlockte, klug zu werden. Sie nahm von seinen Früchten und aß; sie gab auch ihrem Mann, der bei ihr war, und auch er aß.
    Da gingen beiden die Augen auf und sie erkannten, dass sie nackt waren. Sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich einen Schurz.
    Als sie Gott, den Herrn, im Garten gegen den Tagwind einherschreiten hörten, versteckten sich Adam und seine Frau vor Gott, dem Herrn, unter den Bäumen des Gartens.


    Doch diese "kosmische Scham" wenn es möglich ist, ihre Züge innerhalb der Gesamtsituation des Menschen nach dem Sündenfall zu erkennen macht im biblischen Text einer anderen Form der Scham Platz. Es ist die Scham, die im Menschsein selber gegeben ist, die also von der inneren Verwirrung dessen verursacht wurde, durch das der Mensch im Schöpfungsgeheimnis sowohl in seinem personalen Ich als auch in der zwischenmenschlichen Beziehung durch die ursprüngliche Personengemeinschaft, die zwischen Mann und Frau bestand, "Abbild Gottes" war. Diese Scham, deren Ursache sich im Menschsein selbst vorfindet, ist immanent und relativ zugleich: sie äußert sich in der Innerlichkeit des Menschen und bezieht sich gleichzeitig auf den "anderen". Es ist die Scham der Frau dem Mann und die des Mannes der Frau gegenüber: eine gegenseitige Scham, die sie nötigt, die eigene Nacktheit zu bedecken und den Körper zu verhüllen, dem Blick des Mannes zu entziehen, was das sichtbare Zeichen der Fraulichkeit ausmacht, und dem Blick der Frau das zu entziehen, was das sichtbare Zeichen der Männlichkeit ist. In diese Richtung hat sich die Scham beider nach dem Sündenfall ausgeprägt, als sie erkannten, "daß sie nackt waren", wie es in Genesis 3, 7 heißt. Der jahwistische Text scheint ausdrücklich auf den sexuellen Charakter dieser Scham hinzuweisen: "Sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich einen Schurz." Doch können wir uns fragen, ob der sexuelle Aspekt nur einen relativen Charakter besitzt, mit anderen Worten: ob es sich um eine Scham vor der eigenen Geschlechtlichkeit nur gegenüber der Person des anderen Geschlechtes handelt.


    Obgleich im Lichte des entscheidenden Satzes von Genesis 3, 7 die Antwort auf die Frage vor allem den Bezugscharakter der Ur-Scham zu stützen scheint, erlaubt uns dennoch das Nachdenken über den unmittelbaren Gesamtzusammenhang, ihren mehr immanenten Hintergrund aufzudecken. Jene Scham, die sich zweifellos im sexuellen Bereich äußert, enthüllt eine spezifische Schwierigkeit, das menschliche Wesen des eigenen Körpers wahrzunehmen: eine Schwierigkeit, die der Mensch im Zustand der ursprünglichen Unschuld nicht hatte. So lassen sich in der Tat die Worte verstehen: "Ich bekam Angst, weil ich nackt bin", die die Folgen der Frucht vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse im Innern des Menschen sichtbar machen. Durch diese Worte wird ein gewisser grundlegender Bruch in der menschlichen Persönlichkeit aufgedeckt, sozusagen ein Riß in der ursprünglichen geistig-körperlichen Einheit des Menschen. Dieser wird sich zum ersten Mal bewußt, daß sein Körper aufgehört hat, aus der Kraft des Geistes zu schöpfen, der ihn auf die Ebene der Gottebenbildlichkeit erhob. Seine Ur-Scham trägt die Zeichen einer spezifischen Demütigung durch den Körper an sich. Es verbirgt sich in ihr der Keim jenes Widerspruchs, der den geschichtlichen Menschen auf seinem gesamten Erdenweg begleiten wird, wie der hl. Paulus schreibt: "Denn in meinem Innern freue ich mich am Gesetz Gottes, ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das mit dem Gesetz meiner Vernunft im Streit liegt" (Röm 7, 22-23).


    So gesehen ist diese Scham also immanent. Sie enthält eine derartige Erkenntnisschärfe, daß sie bis in die Existenztiefe des Menschen Unruhe erzeugt, nicht nur angesichts des Todes, sondern auch im Hinblick auf das, wovon Wert und Würde der Person in ihrer ethischen Bedeutung abhängen. In diesem Sinne ist die Ur-Scham vor dem Leib ("ich bin nackt") bereits Angst ("ich bekam Angst") und kündigt die Unruhe des Gewissens an, die mit der bösen Begierlichkeit zusammenhängt. Der Körper, der nicht mehr wie im Zustand der Ur-Unschuld dem Geist unterworfen ist, nährt in sich einen ständigen Herd des Widerstandes gegen den Geist und bedroht gewissermaßen die Einheit vom Menschen als Person, das heißt die Einheit sittlicher Natur, die im eigentlichen Gefüge der Person fest verwurzelt ist. Die Begierlichkeit und im besonderen die Begierde des Leibes stellt eine deutliche Bedrohung für die Struktur des Selbstbesitzes und der Selbstbestimmung dar, durch die sich die Person des Menschen formt. Sie stellt für sie zugleich eine Herausforderung besonderer Art dar. In jedem Fall beherrscht der Mensch der Begierlichkeit seinen Körper nicht in demselben Maße und mit der gleichen Einfachheit und Natürlichkeit, wie das der Mensch im Zustand der ursprünglichen Unschuld vermochte. Die Struktur der für die menschliche Person wesentlichen Selbstbestimmung wird in ihm gewissermaßen in den Grundfesten erschüttert; er identifiziert sich erneut mit ihr, insofern er ständig bereit ist, sie zurückzugewinnen.


    Mit diesem inneren Ungleichgewicht ist die immanente Scham verbunden. Sie hat sexuellen Charakter, weil gerade der Bereich der menschlichen Geschlechtlichkeit jene Störung des Gleichgewichts besonders deutlich sichtbar macht, die der Begierlichkeit und besonders der leiblichen Begierde entspringt. So gesehen, ist jener erste Anstoß, von dem Genesis 3, 7 spricht ("da erkannten sie, daß sie nackt waren; sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich einen Schurz"), äußerst bedeutsam; es ist, als erlebte der Mensch der Begierlichkeit (Mann und Frau "im Akt der Erkenntnis von Gut und Böse"), daß er einfach aufgehört hat, auch seinem Körper und seinem Geschlecht nach über der Welt der anderen Lebewesen oder animalia zu stehen. Es ist, als ob er einen bestimmten Bruch der personalen Integrität seines Körpers erlebte, besonders in dem, was seine Geschlechtlichkeit ausmacht und was in direktem Zusammenhang mit der Berufung zu jener Einheit steht, in der Mann und Frau "ein Fleisch sein werden" (Gen 2, 24). Deshalb hat jene immanente und zugleich geschlechtliche Scham zumindest indirekt immer einen relativen Charakter in bezug auf den anderen. Es ist die Scham vor der eigenen Geschlechtlichkeit gegenüber dem anderen Menschen. So zeigt sich die Scham im Bericht von Genesis 3, durch den wir gewissermaßen Zeugen des Entstehens der menschlichen Begierlichkeit werden. Damit ist auch die Begründung hinreichend klar, daß wir von den Worten Christi über den Mann, der "eine Frau lüstern ansieht" (Mt 5, 27-28), zu jenem ersten Augenblick zurückgehen müssen, wo die Scham sich durch die Begierlichkeit erklärt und die Begierlichkeit durch die Scham. So verstehen wir besser, weshalb und in welchem Sinn Christus das begehrliche Verlangen "Ehebruch" nennt, der im Herzen begangen wird, weil er das Herz des Menschen gewinnen will.


    Das menschliche Herz birgt in sich gleichzeitig Verlangen und Scham. Das Entstehen der Scham verweist uns auf jenen Augenblick, in dem der innere Mensch, das Herz, sich dem verschließt, was vom Vater kommt, und sich dem öffnet, was von der Welt kommt. Das Entstehen der Scham im Herzen des Menschen geht Hand in Hand mit dem Aufbrechen der Begehrlichkeit der dreifachen Begierde in der johanneischen Theologie (vgl. 1 Joh 2, 16), besonders der leiblichen Begierde. Aufgrund der Begierlichkeit schämt sich der Mensch seines Körpers. Ja, er schämt sich nicht so sehr des Körpers als vielmehr der Begierlichkeit: er schämt sich des Körpers wegen seiner Begierlichkeit. Er schämt sich des Körpers, wegen jenes Zustandes seines Geistes, den Theologie und Psychologie mit dem gleichen Begriff bezeichnen: Begehren oder Begierde, auch wenn die Bedeutung nicht ganz die gleiche ist Die biblische und theologische Bedeutung der Begierlichkeit unterscheidet sich von der in der Psychologie gebrauchten. Für letztere rührt das Begehren von dem Mangel oder der Notwendigkeit her, die der begehrte Wert stillen soll. Die biblische Begierlichkeit dagegen bezeichnet, wie wir aus 1 Joh 2, 16 ableiten können, den Zustand des menschlichen Geistes, der sich von der ursprünglichen Einfachheit und Fülle der Werte entfernt hat, die Mensch und Welt in den Dimensionen Gottes besitzen. Gerade diese Einfachheit und Wertfülle des menschlichen Körpers in der ersten Erfahrung seiner Männlichkeit bzw. Weiblichkeit, von welcher Genesis 2, 23-25 spricht, hat in der Folge in den Dimensionen der Welt eine radikale Umwandlung erfahren. Nun entstand zugleich mit der Begierlichkeit des Körpers die Scham.


    Lector, intende,
    laetaberis!
    (Lieber Leser, paß auf, Du wirst Deinen Spaß haben! – Apuleus)

  • Auch wenn es verlockend wäre, die o.a. Betrachtung zu Gen 3,7 ausführlich zu kommentieren, beschränke ich mich einmal auf den letzten Gedanken:


    "Aufgrund der Begierlichkeit schämt sich der Mensch seines Körpers. Ja, er schämt sich nicht so sehr des Körpers als vielmehr der Begierlichkeit: er schämt sich des Körpers wegen seiner Begierlichkeit."


    Also Scham ensteht erst aufgrund der eigenen Begierde? Der Mensch schließt von sich auf andere und schämt sich, weil er weiß, was er über andere nackte Körper denkt. Und weil er nicht will, daß andere das über seinen nackten Körper denken, schämt er sich. So habe ich das bisher noch nie gesehen!


    baer

    Lector, intende,
    laetaberis!
    (Lieber Leser, paß auf, Du wirst Deinen Spaß haben! – Apuleus)

  • Auch ohne Papst "John Pauls" Genesis - Exegese weiß man ferner,
    dass die Menschen irgendwann Jahrtausende v. Chr. den Sinn für Ästhetik entwickelten. Damit waren Äußerlichkeiten, Aussehen, nicht mehr rein zweckmäßig, sondern... huiuiui... man wertete in "schön" und "hässlich", wurde eitel und Körperkult wie Narzissmus wurden Tür und Tor geöffnet...


    Dafür sollte sich ewig schämen, wer als erster von allen sein Spiegelbild liebte und andere hieß, es ihm gleichzutun. :D

  • Zitat

    Original von baer66 


    Für mich ist das ein hausgemachtes Problem, denn ohne Begehr gibt es keinen Ständer, und ohne Ständer kein GV, und ohne GV keine Kinder.
     
    Und wie solle ohne Begehr der Mensch den Auftrag Gottes - seid fruchtbar und vermehrt euch (Genesis 1,28 ) – erfüllen?

    In Kleinigkeiten wundern wir uns nicht über die Geschmacksunterschiede. Aber sobald es sich um die Wollust handelt, geht der Lärm los. - Marquis de Sade in Justine oder die Leiden der Tugend

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Erpan ()

  • Zitat

    Original von Erpan
    Und wie solle ohne Begehr der Mensch den Auftrag Gottes - seid fruchtbar und vermehrt euch (Genesis 1,28 ) – erfüllen?


    Im Paradies wäre das wohl mit Gottes Hilfe kein Problem gewesen, oder? ;)


    baer

    Lector, intende,
    laetaberis!
    (Lieber Leser, paß auf, Du wirst Deinen Spaß haben! – Apuleus)

  • Immerhin - der Mensch erschuf Gott nach seinem Ebenbild. Oder vielmehr - Idealbild. Gott und die Engelchen und alle Halbgötter sind frei von "Sünde", "Schmutz", "niederen Trieben", ja überhaupt frei von Triebhaftigkeit.


    Und die menschliche Begierde wurde irgendwann nicht nur erlebt, wahrgenommen, sondern bewertet. Beurteilt. Anders als bei Tieren.
    Das liegt daran, dass irgendwann mal ein Mensch feststellte, dass er zwar sex. Erregung spürte und (ein weibchen, vielleicht) vögeln wollte, jedoch der Meinung war, es nicht zu dürfen. Lust und Triebe im Konflikt mit Sozialen Regeln.


    Oder wer z.B. ihn bei seiner Frau nicht anständig hochkriegt, trägt seinen Penis lieber nicht nackt, wenn er angesichts der Frau seines Bruders nen Vollsteifen kriegt.

  • Ich denke mal das die Scham an sich angeboren ist. Wobei die Menschen unterschiedlich konstituiert sind. Die mit viel Selbstbewusstsein schämen sich später als die mit wenig.


    Warum wir uns schämen dürfte kulturell bedingt sein und damit anerzogen.


    beschämt
    Adamit