• Persönliche Vorlieben und/oder Abneigungen des Kritikers spielen bei Kritiken immer eine Rolle. Weil der Kritiker nur ein Mensch ist, der sich nicht zweiteilen oder aus seiner Haut kann. So gibt es hier einige, die den SM-Stories prinzipiell kritisch gegenüberstehen, wohl weil sie Frauen darin als Objekte und/oder als erniedrig dargestellt sehen. Sie kritisieren diese Stories nicht nur, sie fordern vom Management dieser Seite auch, solche Stories zu löschen bzw. nicht mehr zuzulassen, obwohl gerade in SM-Stories die einseitige weibliche Nacktheit – das Thema dieser Seite! – besonders oft vorkommt.


    Nun gibt es aber eine Studie (Brett Kahr, "Sex im Kopf" (Ullstein)), die sehr breit angelegt war (19.000 Teilnehmer) und in welcher darlegt wird, dass etwa jede vierte Frau sadomasochistische Fantasien hat, in denen sie meistens die masochistische Rolle übernimmt.


    Und literarische Texte sind nichts anderes als Fantasien - ja sie können gar nichts anderes sein!


    Gerade macht ein Buch, besser gesagt eine Trilogie („Fifty Shades of Grey“, „Fifty Shades Darker", „Fifty Shades Freed") mit 1200 Seiten Furore in USA. Es wurde schon 250.000 als eBook herunter geladen und die gedruckte Version bekam eine Startauflage von 750.000 Exemplaren. Das Buch ist pornografisch, aber weil als eBook vorhanden, anonym über das Internet zu beziehen, auch und vor allem von Frauen – Zitat:

    Doch der eigentliche Erfolg dürfte weniger der packenden Geschichte noch der gut herausgearbeiteten Charaktere geschuldet sein, sondern vielmehr der Tatsache, dass sich dank E-Books die erotischen Bücher überall und völlig anonym lesen lassen. Dieser Tatsache ist sich auch James’ Agentin, Hoskins, bewusst: „Kindles und iPads haben auch den Lesern einen gewissen Grad an Anonymität gebracht, die sich in der Vergangenheit gescheut hätten, diese Art von Büchern in der Hand zu nehmen.“


    Die im englischen etwas abfällig als „Mommy Porn“ bezeichneten Bücher wurden bisher 250.000-mal heruntergeladen. „Frauen finden es okay, diese Art der Bücher zu lesen“, zitiert „NYT“ eine Leserin, die lieber anonym bleiben will. „Für Frauen ist es ein Tabu, zuzugeben, dass sie sich Pornographie ansehen, aber aus irgendeinem Grund ist es für sie okay, zuzugeben, dass sie dieses Buch lesen.“ Und auch Lyss Stern, die Gründerin des Mütternetzwerks Divamoms.com, kommt gar nicht mehr aus dem Schwärmen heraus: „Es entfacht wieder Feuer in vielen Beziehungen. Man fühlt sich wieder sexy, wenn man dieses Buch liest.“


    Aber „Fifty Shades of Grey“ weckt nicht nur Begeisterung. Kritiker haben das Buch für seine Schilderung von Gewalt und dem antiquierten Frauenbild völlig verrissen. „Ich finde es faszinierend, wie viele erfolgreiche, motivierte und gebildete Frauen sagen, dass dieses Buch das Beste ist, das sie jemals gelesen haben“, sagt die 38-jährige Anwältin Meg Lazarus gegenüber „NYT“. „Ich verstehe das einfach nicht. Da handelt von so viel Gewalt, und der Typ ist manchmal einfach nur widerlich.“


    Da haben wir’s wieder: antiquiertes Frauenbild, Gewalt, widerlich. Ich schätze, wenn einer von unseren oben erwähnten Kritikern das Buch lesen müsste, würde er genau das sagen.


    Bin gespannt, ob das Buch ins Deutsche übersetzt wird. Und dann, ob es frei verkäuflich sein wird, schließlich handelt es sich um harte Pornografie, die in Deutschland eigentlich verboten ist. Aber vielleicht werden sie es zuvor zensieren, sprich entschärfen, auf dass die deutschen Frauen keinen Schaden nehmen. :D

    In Kleinigkeiten wundern wir uns nicht über die Geschmacksunterschiede. Aber sobald es sich um die Wollust handelt, geht der Lärm los. - Marquis de Sade in Justine oder die Leiden der Tugend

  • Das Beispiel von Erpan ist ausgezeichnet und sehr anschaulich. Interessant, daß das Thema hier wieder kommt!


    Zitat

    Original von baer66


    Mich beschäftigt gerade der Gedanke, daß Frauen heute freiwillig und lustvoll die sexuelle Unterwerfung suchen, die in der AntikeTeil des harten Schicksals von Sklavinnen war (zB cf den aktuellen Erfolg der Trilogie „Fifty Shades of Grey“von E.L. James).


    Auf meinen Beitrag in der Diskussion zu meiner Geschichte "Die nackte Sklavin" kam der durchaus richtige Einwand:


    Zitat

    Original von NicoS


    ... wobei das a) fiktional ist und b) ein freiwilliges Spiel beschreibt. Mit echter Sklaverei, dem Behandeln von Menschen als Ding und Ware, hat das nicht das Geringste zu tun. Man sollte das, gerade angesichts der modernen Sklaverei in ihren vielfältigen Formen, nicht zu sehr romantisieren. Wer auch nur ein wenig von BDSM versteht, weiß, dass der Bottom oft die Show steuert. Echten Sklaven ist das per se verwehrt.


    Nico sagt ganz richtig, daß BDSM "ein freiwilliges Spiel" ist. Gerne wird aber ein Kritiker, der der Sache negativ gegenübersteht, genau "die Gewalt" anprangern, die womöglich von "Bottom" gewünscht ist.


    "Pro captu lectoris habent sua fata libelli"


    (auch wenn ich mich damit wiederhole)


    Die Frage ist ja, ob der Leser den Kritiker kennt, der seine persönliche Meinung (und Vorliebe) mit der Rezension vermischt. Wenn ein Musikkritiker seine "Lieblinge" lobt und ich weiß, daß es sich um seine Protegées handelt, kann ich die Kritik noch immer für mich nutzbringend lesen, indem ich den "Bonus" wieder abziehe.


    Kategorische Verdammungen wie "gehört gelöscht", Rufe nach Zensur und Bütteln, sollten der Vergangenheit angehören. Oder wollen wir, daß ein Autor, so wie seinerzeit Verdi bei "Un ballo in maschera", die Handlung vom königlichen Stockholm ins koloniale Boston verlegen muß, um der österreichischen Zensur zu entgehen?


    In diesem Sinne bin ich ein Freiheitskämpfer (heute könnte man vielleicht sagen: Pirat! ;) )!


    baer

    Lector, intende,
    laetaberis!
    (Lieber Leser, paß auf, Du wirst Deinen Spaß haben! – Apuleus)

  • Ich bin auch Pirat, habe sie schon bei der Bundestagswahl gewählt. Aber ich frage mich - mit Blick auf die Feuchtgebiete und Co. - ob wirklich ALLES aber auch alles bis ins Detail beschrieben werden sollte.


    Das sexuelle Verlangen lebt doch davon, wird genährt und gesteigert von der Heimlichkeit, dem halb-verdeckten, verborgenen, dem lustvoll zu enthüllenden Körper.


    Lüsternheit wächst in dem Grade, wo die Ver-Hüllung und langsame Ent-Hüllung greift.


    Deshalb gibt es zum Beispiel nichts Unerotischeres als Nacktbadestrände. Da ist nun alles weit ausgebreitet sichtbar, und aber der sexuelle Appetit auf einem Tiefpunkt.


    Deshalb: BDSM und ähnliche Spielarten, welche es mag -OK - aber zum "haar"-genauen her-zeigen und erzählen nicht so geeignet. Find ich.

  • Nico, - mein Beitrag war bezogen auf den vorhergehenden Text von baer, der sich schwerpunktmässig mit BDSM beschäftigte, also einen spezifischen Inhalt.

  • Zitat

    Original eti
    Deshalb gibt es zum Beispiel nichts Unerotischeres als Nacktbadestrände. Da ist nun alles weit ausgebreitet sichtbar, und aber der sexuelle Appetit auf einem Tiefpunkt.


    Das kann ich nicht ganz bestätigen.


    Aber du hast zum Teil Recht, denn die wenigen Frauen, die "alles weit ausgebreitet" sichtbar machen, können wahrlich den "sexuellen Appetit auf einen Tiefpunkt" bringen.

  • Zitat

    Original von eti
    Nico, - mein Beitrag war bezogen auf den vorhergehenden Text von baer, der sich schwerpunktmässig mit BDSM beschäftigte, also einen spezifischen Inhalt.


    Eben darum meine Anmerkung. Aber jetzt sind wir ja schon bei Nacktbadestränden ... :rolleyes:


    Nico S.

  • Schon bei mehreren Gelegenheiten in diesem Thread und auch anderswo hab ich an das Problem gedacht, das Richard Wagner mit dem legendären Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick hatte. Er hat das in seinen Meistersingern in der Figur des Sixtus Beckmesser verabeitet.


    Einige der folgenden Passagen passen wunderbar in unsere Diskussion.


    BECKMESSER
    Pressiert's den Herrn?
    Mein Stell und Amt lass ich ihm gern.


    Wer glaubt's, daß er an seinem Kritikeramt nicht hängt? Wo sollte er denn sonst seine ungeheure Gelehrsamkeit beweisen?


    BECKMESSER
    Ein saures Amt, und heut zumal!
    Wohl gibt's mit der Kreide manche Qual!


    Der Kritiker betont, wie schwierig er es bei derartigen Dilettanten hat.


    BECKMESSER
    Sei Merker fortan, wer darnach geizt!
    Doch dass der Junker hier versungen hat,
    beleg ich erst noch vor der Meister Rat.
    Zwar wird's 'ne harte Arbeit sein:
    wo beginnen, da wo nicht aus noch ein?
    von falscher Zahl, und falschem Gebänd -
    schweig ich schon ganz und gar:
    zu kurz, zu lang - wer ein End da fänd?
    Wer meint hier im Ernst einen Bar?
    Auf "blinde Meinung" klag ich allein: -
    Sagt, konnt ein Sinn unsinniger sein?


    Die Regeln, an denen er sich festhält, muß er stur anwenden. Zuhören wäre klüger!


    Wagner antwortet als Hans Sachs:


    SACHS
    Halt, Meister! Nicht so geeilt!
    Nicht jeder eure Meinung teilt. -
    Des Ritters Lied und Weise,
    sie fand ich neu, doch nicht verwirrt:
    verliess er unsre Gleise,
    schritt er doch fest und unbeirrt.
    Wollt ihr nach Regeln messen,
    was nicht nach eurer Regeln Lauf,
    der eignen Spur vergessen
    sucht davon erst die Regeln auf!


    Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg,
    1. Akt, 3. Szene


    baer

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    (Lieber Leser, paß auf, Du wirst Deinen Spaß haben! – Apuleus)

  • Was wir hier im Forum "Kritik" nennen und befördern, das sind eigentlich liebenswürdige Streicheleinheiten, gemessen an echter, zupackender Beurteilung.


    Hier ein Beispiel, entnommen einer längeren Filmkritik:


    "Was die Irrenanstalt an filmischen Fehlgeburten wie "Mega Shark vs. Giant Octopus" oder "Snakes on a Train" auf die Welt loslässt, verwandelt nicht nur Billigstreifen wie "Boa vs. Python" in leuchtende Meilensteine der Filmgeschichte, sondern erteilt auch RTL-Produktionen den Ritterschlag seriös-anspruchsvollen Kulturguts. Diese trashige Tradition setzt "Titanic 2" unbeirrt fort: Die Story ist hanebüchen und konzeptlos, Mal für Mal läuft die Logik auf Grund und versinkt in peinlicher Dummheit. So erklärt Hayden nach der Warnung über die Riesenwellen zwar korrekt, dass es im Falle eines Tsunami keinen sichereren Ort gäbe als ein Schiff auf hoher See. Bloß: Zwei, drei Szenen weiter türmen sich gigantische FX-Wellenberge vor der Titanic II auf und drehen den Kübel kurzerhand um - "Poseidon" lässt grüßen. Das ist nur ein Beispiel von vielen dafür, wie das Skript Stumpfsinn, Langeweile und Dilettantismus am laufenden Band zelebriert; ein idiotischer Einfall jagt den nächsten, ein peinlicher Goof den anderen. Blutende Halswunden werden mit Klebeband und Kreditkarten (!) verbunden, Schnösel Hayden zwängt sich problemlos durch ein Schott, das eben noch eine Krankenschwester zerquetscht hat, und auf hoher See sieht man durch ein Bullauge die Skyline des Drehorts."


  • Zitat

    Original eti
    Was wir hier im Forum "Kritik" nennen und befördern, das sind eigentlich liebenswürdige Streicheleinheiten, gemessen an echter, zupackender Beurteilung.


    Ich habe hier schon einige Kritiken gelesen, bei denen es ganz schön zur Sache ging. Dass dies nicht jedermanns Ding ist, muss nicht näher erläutert werden.


    Mich persönlich stören gar nicht mal die Kritiken im Forum, eher die Kritisierten. Insbesondere die "Kritiker", die weder Kritik ertragen noch zu ihren Fehlern stehen können. ;) (keine Ironie)

  • Zitat

    Original von mausbacher


    Mich persönlich stören gar nicht mal die Kritiken im Forum, eher die Kritisierten. Insbesondere die "Kritiker", die weder Kritik ertragen noch zu ihren Fehlern stehen können. ;) (keine Ironie)


    Ein wahres Wort, mausbacher.
    Umso mehr als es hier ja um Nicks geht. Man wird also virtuell kritisiert!


    Es ist doch schön, wenn jemand seine Meinung formuliert. Zum Unterschied von RL, wo Existenzen am Spiel stehen, wenn ein Autor verrissen wird, geht es hier "nur" um die Reputation im Forum. Das sollte man gelassener sehen. Wir sind doch (fast) alle Amateure.


    baer

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  • Genausogut gibt es aber auch sogenannte Kritiker, die meinen, mir nichts dir nichts jemanden in einer Kritik anfeinden und provozieren zu müssen. Gerade die Anonymität des Internets verleitet manche zu der dämlichen Ansicht, die (höflichen) Umgangsformen und den Respekt gegenüber dem Mitmenschen über Bord werfen zu dürfen.


    Und auch wenn virtuell kritisiert wird, hinter jedem Bildschirm sitzt ein Mensch der denkt und fühlt und durchaus von manchem böswilligen Wort im REAL-LIFE betroffen ist und das erst einmal verdauen muss.


    Peter Carsten

  • Zitat

    Original Peter Carsten
    Genausogut gibt es aber auch sogenannte Kritiker, die meinen, mir nichts dir nichts jemanden in einer Kritik anfeinden und provozieren zu müssen.


    Ein ebenso wahres wie richtiges Wort, Peter Carsten.


    Wir sind alle nur Menschen mit Schwächen und Stärken. Anfeindungen und missbilligende Provokationen gehören genaus so wenig in eine Kritik wie wissentlich und willentlich unrichtige Äußerungen, die wiederum nur zu weiteren Provokationen und Anfeindungen führen können und ggf. auch müssen.

  • „Wir werden über Bücher sprechen, und zwar, wie wir immer sprechen: liebevoll und etwas gemein, gütig und vielleicht ein bisschen bösartig, aber auf jeden Fall sehr klar und deutlich. Denn die Deutlichkeit ist die Höflichkeit der Kritik der Kritiker.“ (Marcel Reich-Ranicki im Literarischen Quartett am 18. März 1993)


    Vielleicht sollten wir uns doch daran halten?


    baer

    Lector, intende,
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    (Lieber Leser, paß auf, Du wirst Deinen Spaß haben! – Apuleus)

  • Marcel Reich-Ranicki, ein großer Meister seines Faches, würde er uns sehen, ich glaube, er würde laufen gehen.


    Aber wie könnten wir uns daran halten?


    Autoren kritisieren Kritiker, Kritiker kritisieren Geschichten und Autoren und Kritiker und das Kritisierte. Die Story wird zur Nebensache.


    Vielleicht noch ein geistreiches Mega-Zitat von Heinrich Heine gefällig? ;) (Nicht böse sein, das ist meine Ironie)

  • Ich habe ja bereits weiter oben geschrieben, lieber mausbacher, daß wir hier Amateure sind, als Autoren und Kritiker. Daher sollte man das Ganze lockerer sehen! ;)


    Meine Ideen zur Vermengung der persönlichen Vorlieben mit der Kritik, zur Ablehnung des Inhalts, zu persönlichen Angriffen, etc., kennst Du ja auch schon.


    Also: "liebevoll und etwas gemein, gütig und vielleicht ein bisschen bösartig, aber auf jeden Fall sehr klar und deutlich."


    Klingt doch gar nicht so schwer, oder?


    baer

    Lector, intende,
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    (Lieber Leser, paß auf, Du wirst Deinen Spaß haben! – Apuleus)

  • War's das vielleicht, mausbacher? ;)


    "Ein Kluger bemerkt alles, ein Dummer macht über alles seine Bemerkungen."


    Heinrich Heine

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