<<Die Legende von der Päpstin Johanna
Im April des Jahres 858 geschah zu Rom etwas
Ungeheuerliches. In einer Gasse nahe dem Lateran-Palast stockte die von
Papst Johannes VIII. geleitete Prozession. Der Pontifex stürzte zu Boden
und gebar ein Kind. Zwei Jahre und sieben Monate hatte eine Frau auf
dem Stuhl Petri gesessen. Wahrheit oder Legende? Von
Jan von Flocken
Foto: akg
Dieser Holzschnitt zeigt Päpstin Johanna mit Kind
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Weiterführende Links
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Die Geschichte ist
rasch erzählt. Das aus Mainz stammende Mädchen Johanna soll von ihrem
Vater, einem Kleriker, solide ausgebildet worden sein und als junger
Mann verkleidet in Athen studiert haben. "Durch die dortigen Gelehrten
gelangte sie zu einem so hohen Wissensstand, dass sie nach ihrer Ankunft
in Rom nur wenige traf, die sich mit ihr messen konnten", heißt es.
Nach einer brillanten Karriere an der römischen Kurie unter dem Namen
"Johannes Anglicus" sei sie als Nachfolger von Papst Leo IV. im
September 855 zum Papst erwählt worden und nannte sich hinfort Johannes
VIII.
Während ihres
Pontifikats pflegte Johanna angeblich mehrere heimliche Liebschaften und
wurde schließlich schwanger. Nach ihrer eingangs geschilderten
Sturzgeburt soll sie – hier widersprechen sich die Berichte – entweder
von der aufgebrachten Menge gelyncht oder in ein Kloster verbannt worden
sein.
Ein so
spektakulärer Vorfall müsste mit hoher Wahrscheinlichkeit in den
zeitgenössischen Chroniken vermerkt worden sein. Doch es dauerte mehr
als 400 Jahre, bis der Name einer Päpstin Johanna auftaucht. Der
Dominikanermönch Martin von Troppau erwähnt 1278 in seiner "Chronik der
Päpste und Kaiser" erstmals ausführlich diesen Kasus, verschweigt aber
leider seine Quellen. Vermutlich geht sein Bericht auf eine anonyme
zeitgenössische Satire über den tatsächlichen Papst Johannes VIII.
zurück, der von 872 bis 882 regierte. In einem religiösen Streit mit dem
byzantinischen Patriarchen Photios zeigte er sich so nachgiebig und
kompromissbereit, dass ein Satiriker ihm "weibische" Eigenschaften
andichtete.
Gerüchte um die folgenden Papstwahlen wollen nicht enden
Martins
Erzählung wurde im Laufe der Zeit immer mehr ausgeschmückt, gerade weil
die Beweise so dürftig ausfielen. 1479 schrieb der italienische Humanist
Bartolomeo Sacchi über Johanna: "Man sagt, dass sie durch teuflische
Machenschaften auf den Papststuhl gelangte." Bei ihrer Niederkunft sei
ein Teufel in der Luft erschienen und habe triumphierend gerufen:
"Papa, pater patrum,
pererit papissa papellum."
(Der Papst, Vater der Väter, gebar als Päpstin einen kleinen Papst).
Um dem
Johanna-Stoff ein gewisses Maß an Glaubwürdigkeit zu verleihen, erfand
man reizende Legenden. So habe nach 858 jeder neu gewählte Papst auf
einem Stuhl mit durchbrochener Sitzfläche, der "Sella stercoria", Platz
nehmen müssen. Darunter hockte ein Priester, der dem Papst zwischen die
Beine griff. Erst wenn er rief "Habet!" (Er hat es), erlangte die
Papstwahl Gültigkeit. Die Tatsache, dass kirchliche Prozessionen in Rom
den "Vicus papessa" (Päpstin-Gasse) vermieden, wurde als Indiz dafür
gewertet, dass hier Johannas peinliche Niederkunft stattgefunden habe.
So nett dies
alles klingt, für eine Päpstin Johanna bleibt schon aus Zeitgründen kein
Platz. Es ist mehrfach verbürgt, dass Papst Leo IV. am 17. Juli 855
starb und zwei Monate später Benedikt III. gewählt wurde. Das beweist u.
a. die päpstliche Korrespondenz mit dem Patriarchen von Konstantinopel.
Durchbrochene Stühle waren bereits 100 Jahre vor dem Johanna-Fall
allgemein gebräuchlich. Und jene Gasse, die zur Kirche San Clemente
führt, erwies sich für die immer umfangreicheren Prozessionen einfach
als zu eng. "Vicus papessa" bedeutet auch nicht Päpstin-Gasse, sondern
schlicht Gasse der Familie Papés.
Die Päpstin Johanna wird publik gemacht
1649
untersuchte der Niederländer David Blondel den Fall wissenschaftlich und
kam zu dem Schluss, dass es keinerlei sichere Beweise für die Existenz
einer Päpstin Johanna gibt. Blondel war ein besonders unverdächtiger
Zeuge, denn es handelte sich nicht um einen Katholiken, der evtl. das
Papsttum reinwaschen wollte, sondern um einen protestantischen
Geistlichen aus Amsterdam.
Damit wäre die
Johanna-Legende erledigt, hätte nicht 1866 der griechische
Schriftsteller Emmanuel D. Rhoidis sich des Stoffes bemächtigt. In einem
heute noch amüsant zu lesenden Buch gibt er sich den Anstrich höchster
Wissenschaftlichkeit. Tatsächlich ist sein Buch ein Schelmenroman über
eine sehr moderne, mit allen Wassern gewaschene Frau. Die
griechisch-orthodoxe Kirche beging jedoch den Fehler, Rhoidis wegen
seines ironischen Untertons zu exkommunizieren und den weiteren Druck zu
verbieten. Derart aufgewertet, wurde die Schrift Ende des 19.
Jahrhunderts zum authentischen Klassiker.
1996 war dann
die US-Amerikanerin Donna Cross mit ihrem Buch "Die Päpstin" sehr
erfolgreich. Redlicherweise kennzeichnet sie das Werk als Roman, doch
viele Leser halten es bis heute für ein historisches Sachbuch. Und das,
obwohl Cross ihre Heldin u. a. Mais verspeisen lässt – eine
Körnerfrucht, die erst 700 Jahre nach der fiktionalen Johanna auf den
europäischen Kontinent gelangte.>>
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mausbacher