<<LITERATUR
Nur für Aristocraten mit c
Nicht ohne Ironie
Sieben Jahre diente Wolf von Niebelschütz um die Prinzessin Danae von Myrrha. In jedem Jahr setzte die verliebte Schrift neue Ringe an. Schließlich wuchs sie sich zu einem Buch von nahezu 1000 Seiten aus, unter dem Titel "Der blaue Kammerherr"*).
Hugo von Hofmannsthal gab einst den Anstoß zu dem barocken Liebesgeplänkel. Sein hinterlassenes Opernfragment "Danae oder die Vernunftheirat" für Richard Strauß griff Wolf von Niebelschütz, Verehrer Hofmannthals und Rilkes seit Jugendtagen, auf. Er machte aus den sieben Fragmentseiten einen üppig blühenden "Tulpenbaum".
Als Unteroffizier der Luftwaffe in Paris setzte Niebelschütz die Nächte daran, um die Knospen sprießen zu lassen. Tagsüber mußte er Soldatendienst tun. Das war die Bedingung, die die militärischen Vorgesetzten vor die Dicht-Wut des Schreibbesessenen setzten. Im Blick auf das keimende Werk ersparten sie ihm auch Rußland.
Dabei sollte das wachsende Buch so wenig mit Krieg und Gegenwart zu tun haben, wie Niebelschütz' erster Romanversuch
"Verschneite Tiefen" oder wie seine ebenso zuchtvoll-strengen wie sprachlich-diffizilen Lyriksammlungen. Die Kriegsferne mochte bei dem Sohn des Potsdamer Gardemajors und Neffen und Enkel kommandierender Generale verwunderlich erscheinen. Sie ist es nicht.
Die Niebelschütze sind eine schreibende Familie. Von dem Vater, Ernst von Niebelschütz, 1946 in Magdeburg gestorben, sind eine Reihe sachkundiger Werke zur Kunstgeschichte überkommen. Schon vor dem ersten Weltkrieg hatte der preußische Generalstab den kunstbegeisterten Offizier auf Reisen nach Italien geschickt.
Die Lebenserinnerungen der Mutter harren noch der Veröffentlichung. Der Bruder, Götz von Niebelschütz, Griechenlandwanderer und Gatte einer Prinzessin Ypsilanti, publizierte farbensatte Griechenland-Essays. Seit Wolf von Niebelschütz 1935 in die Redaktion der "Magdeburgischen Zeitung" eintrat, erzog er sich selbst systematisch zu schriftstellerischer Vollkommenheit. Die "Haarspaltereien" des jungen Feuilleton-Redakteurs, schwierig-amüsante Untersuchungen über letzte Feinheiten der Sprache, sind unverkennbare Vorübungen des im raffiniertesten Sprachgewand einherschreitende Lyrikers und Romanciers.
Der höchstgesteigerten Sprachverfeinerung entsprechen die noblen Vorwürfe, die sich der Nachfahre schlesischer Adliger für seine Werke aussucht. In den "Verschneiten Tiefen" war es das grausige Geschick der Wildgräfin Viktoria von Dhaun, die im Kerker des eigenen Vaters erblindet.
Im "Blauen Kammerherrn" sind es die Hof- und Staatsaktionen um die Verehelichung der Erbprinzessin Danae des ägäischen Königreichs Myrrha. Das ist eine sehr verwickelte Geschichte. Der erste unerhoffte und unerfüllte Geliebte, der strahlende Kavalier Giovanni von Legua, Gesandter seiner Herrlichkeit des Dogen von Venedig, fällt einem Attentat zum Opfer, das eigentlich dem Minister des königlichen Vaters galt.
Es folgt die öffentliche Verlobung Danaes mit dem fernen Olympier. Zeus, der bald in der Gestalt des Reichsgrafen zu Weißenstein, des blauen Kammerherrn,
auftaucht und wieder verschwindet, Verwirrungen stiftet und Knoten löst. Dann kreuzt auf goldenem Schiff der Herzog von Scheria auf, Gesandter und Hochzeitswerber seiner phrygischen Majestät, Kavalier, Kriegsmann und Zauberer, dessen linke Hand Hanftaue und menschliche Glieder in Gold zu verwandeln
vermag.
Damit aber verrät er sich nur. Er ist in Wahrheit Midas selbst, der goldbegnadete König von Phrygien. Ueber ihm, in dem der erstgeliebte Giovanni von Legua wieder auferstanden zu sein scheint, wird sich in einem angekündigten, aber nicht mehr ausgeführten Ende der "Seidene Ciel des königlichen Brautbetts" schließen.
Dazwischen verdingt sich die Prinzessin als Magd dem dauernd betrunkenen Bauern Lamprenos. Dazwischen gibt es die Meuterei eines Inselregiments, Pöbelaufstände, eine feindliche Invasion und eine Schlacht auf der Insel, in der die sechzehnjährige Danae im weißen Faltenrock und mit pantherfellbekleideter Brust ihre Getreuen zum Siege führt.
Das alles ist getaucht in die farbigglühende Luft des östlichen Mittelmeeres und in ein unbestimmt schillerndes geschichtliches Gewand, in dem sich das verwirrende Spiel der griechischen Mythologie mit der prächtig-höfischen Fassade des europäischen Barock pnantasievoll vermischen. Niebelschütz nennt seinen "galanten Roman" ein "phantasmagorisches Zauberspiel".
Er meint es ironisch, so ironisch wie alles an dem Buche ist. Der Verfasser versäumt nicht, zwischen den Zeilen immer wieder direkt zu seinen Lesern zu sprechen. Chers auditeurs, redet er sie an und macht sie etwa ausdrücklich auf einen geglückten Binnenreim aufmerksam. Er legt es ihnen in den Mund, sie möchten ihn für "gestelzt hoffärtig, herz- und gemütlos" halten. Er erzählt ihnen, warum er nach zwei Bänden noch einen dritten und vierten Band anschließen muß. Er sucht am Ende seinen einigermaßen strapazierten Lesern nicht die Tränen zu verhehlen, die ihm selbst beim Scheiden von seiner Heldin "die Lider feuchten". Niebelschütz macht es seinen Lesern nicht eben leicht. Die sprachlich-trunkenen Kaskaden münden plötzlich in ganze, ausgewachsene Absätze, in denen er seine Helden munter französisch, italienisch und auch mal englisch parlieren läßt. Die Verlagsankündigung erhebt das zu dem "Dokument eines europäischen Stils".
Dem Verlag zollt Bischof Liljes "Sonntagsblatt" für die friedensmäßige Ausstattung - weißes Papier, schöner Satz - seine Anerkennung. Aber an dem Werk selbst hat die christliche Wochenzeitung einiges auszusetzen. "An diesen 589 Seiten hat der Verfasser sieben Jahre lang geschrieben. Rechnen wir nach: also etwa seit Stalingrad. Es gingen Hunderttausende nach Sibirien, der Autor schrieb an dem galanten Roman. Es fielen täglich und nächtlich Menschen und Bomben - der Autor schrieb galant weiter. Es geschah dann noch einiges, aber der Autor ließ sich nicht beirren: seine Gedanken waren bei Danae, 16jährig, blond und süß, Kann sich einer sieben Jahre lang irren?"
Die bischöfliche Zeitung findet keine Antwort. Der Dichter selbst, 36jährig und Vater von fünf Kindern, läßt seinen Herzog
von Scheria offen und wieder nicht ohne Ironie den Grund für sein anspruchsvolles und fragwürdiges Tun angeben: "In der Kunst muß man den Menschen etwas zumuten, muß sich um ihre Bequemlichkeiten nicht kümmern. Sie ist ja ohnehin nur für Aristocraten faßbar, geistige Aristocraten, setzt hohe Gesinnung voraus, und wehe, wenn der Geschmack des Kleinen Mannes über sie kommt."
Bei Niebelschütz werden Aristrocraten immer mit "c" geschrieben.>> (Spiegel)
Aus dem Jahr 1949, also mehr oder weniger unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg.
Passend zur Story und leicht ironisch angehaucht, wie ich finde.