Nachdem nun der Abschluss der Story erschienen ist, möchte ich auf ein paar Punkte eingehen, die ich bei meinen früheren Kommentaren bewusst offen gelassen habe oder die durch die wöchentliche Erscheinungsweise offenbar doch zu stark verzerrt wurden.
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Schon seit den Helena-Storys war es meine Absicht, Geschichten zu finden, die "öffentliche weibliche Nacktheit" in einem möglichst realistischen, aber dennoch ungewöhnlichen Rahmen darstellen. Der grundsätzliche Kniff dabei ist, ein zumindest einigermaßen glaubhaftes Vehikel zu finden, das es ermöglicht, die Gesetze des Alltags wenigstens ein klein wenig zu Gunsten meiner Story zu beeinflussen. Eine sehr simple - und für mich reizlose - Lösung wäre zum Beispiel ein Nudistenclub. In der ersten Helena-Staffel habe ich dazu die relativ abgeschlossene Gemeinschaft des winzigen Wendlandweilers gewählt (den es übrigens tatsächlich gibt, wenn auch ohne Nackte auf der Dorfstraße), in der zweiten war es das Geld von Albert Kandermann.
Für Valeria wollte ich nun die Schraube noch eine halbe Drehung fester anziehen; der Realismus sollte noch greifbarer werden. Dazu brauchte ich zunächst eine geeignete Hauptfigur. Die auf eigenwillige Weise selbstbewusste Tochter einer alleinerziehenden Zuwanderer-Mutter schien mir dazu besonders geeignet.
Diese Mutter übrigens stammt aus der Ukraine, einem Land zwischen Europa und Asien, russischem und westlichem Denken, das ich schon einmal vor langer Zeit für eine gänzlich andere Art von Geschichte als Herkunftsland einer Hauptfigur genutzt habe. Valeria ist noch dort geboren; ihre Mutter ist erst nach Deutschland gekommen, als sie etwa 5 Jahre alt war. Die Mutter dagegen ist dort aufgewachsen und hängt noch vielen, bei uns inzwischen als überkommen geltenden Vorstellungen an. Doch gerade damit findet sie sich in Deutschland zwischen allen Stühlen wieder: Einerseits möchte sie die gute, alte Art des Familienlebens mit gehorsamen, anständigen Kindern. Andererseits schafft sie es nur sehr unvollkommen, sich ihrer neuen und selbstgewählten Heimat anzupassen. Ihr Privatleben ist ein Misserfolg, und sie füllt ihre Rolle als positives Vorbild mehr als mangelhaft aus. Schlussendlich ist sie allein viel zu schwach ... und in der fremden Umgebung auch verunsichert ... um ihre Tochter zu bändigen. So kann Valeria auch sehr leicht Freiräume finden und ausfüllen ... wie den Wald, die Gothic-Szene oder die Circonia-Fan-Community ... da die Mutter absolut keine Vorstellung davon hat, welche Umgebung und Folgen für Valeria dies hat bzw. haben könnte. So ist schon von der Herkunft her bei Valeria der Boden bereitet für die Eskapade - was ja wörtlich "Flucht" bedeutet - als Naked Elvin.
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Den tatsächlichen Anstoß zu der vorliegenden Geschichte gab mir übrigens ein Ereignis, von dem ich durch einen eigenartigen Zufall erfuhr. Ich schaute in ein Stadtmagazin, das ich sonst nie lese ... und fand dort die Ankündigung eines "Cos-Player Treffens". Den Begriff hatte ich noch nie gehört, doch die Bilder sprachen eine deutliche Spache, und den Rest erfuhr ich durch Wikipedia: Cos-Player sind Jugendliche ... überwiegend weibliche, wie mir scheint ... die versuchen, durch Kostümierung, Make-up, aber auch Gestik und Haltungen Figuren aus japanischen Manga Comics so realistisch wie nur irgend möglich nachzuahmen. Dabei zeichnen sich übrigens einige der Kostüme vor allem für Mädchen auch durch einen sehr sparsamen Stoffverbrauch aus ...
Da mir aber die Manga Comic Welt völlig unvertraut ist, habe ich den Rahmen für Valerias nackten Auftritt in eine mir selbst vertrautere Umgebung verlegt. Fantasy und vor allem Science Fiction haben mich schon immer fasziniert. So habe ich diese Starwars artige Mischung namens Circonia zusammengerührt ... ziemlich stümperhaft übrigens ... um Valeria ihre Bühne zu verschaffen.
Damit hatte ich nun ein geeignetes "Vehikel" gefunden, also ein durchaus realistisch vorstellbares Element, das in einem gewissen Rahmen öffentliche Nacktheit ermöglichen konnte. Allerdings sind dabei nicht nur die exhibitionistischen Cos-Player-Kostüme mit der Vorstellung eines Trekkie-Treffens vermischt.
Hineingemixt habe ich eine Anekdote aus einer weitaus größeren und sichtbareren Subkultur, der Mittelalter-Szene. Märkte, Turniere und sonstigen Treffen gibt es ja inzwischen in ganz Deutschland ... und wenn dann noch ein Bader mit auf dem Platz ist, kann man das Konzept des Schambereichs Realität werden sehen: Frauen ... und natürlich auch Männer ... die sich in aller bekleideten Öffentlichkeit ganz entspannt splitternackt ihrem Vergnügen hingeben. So dient z.B. die Milch, die dem Badewasser dort zugegeben wird, weniger der Körperpflege, sondern eher als Sichtschutz ...
Bei einem solchen Bader hörte ich dann auch die Geschichte von einer großen, kräftigen Frau, die ... nackt im Zuber sitzend ... von einem Touristen fotografiert wurde. Sie forderte ein Entgelt, doch er wollte nicht zahlen und dachte wohl, er könne er sich in der Menge verdrücken. Doch die Frau sei kurzerhand aus dem Zuber gestiegen, habe sich ihr Schwert geschnappt und sei, splitternackt wie sie war, dem Mann quer über den Markt nachgelaufen, habe ihn mit blankem Schwert und blankem Busen überrumpelt und ihm ein gehöriges Fotogeld abgeknöpft.
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Eine Problematik, die ich allerdings von Anfang an bewusst in Kauf genommen habe, resultiert gewiss aus der wöchentlichen Erscheinungsweise. Ich verstehe jeden, der sich nach 2 oder gar 3 Wochen nicht mehr an die Einzelheiten der vorherigen Kapitel erinnert und so das Gefühl hat, der Story fehle es an Zusammenhalt.
Doch ich wollte eine breiter angelegte Geschichte schreiben. Dabei ist die tatsächliche Handlungszeit relativ kurz. Sie spielt im Zeitraum von Mai bis Juli des Jahres, in dem Valeria 16 wird. Allerdings sind die Kapitel 2 und vor allem 3 im Wesentlichen Rückblenden. So wird zwar am Anfang von Kapitel 4 kurz auf den zeitlichen Zusammenhang zu Kapitel 1 verwiesen, doch dieser Link konnte offenbar die Distanz von dann 3 Wochen Erscheinungsabstand nicht ausgleichen: Viele hatten das Gefühl, hier beginne nun eine neue Geschichte, obwohl nach einer allerdings recht ausgedehnten Einbettung lediglich der Beginn fortgesetzt wird.
Wer die Geduld dazu aufbringt, möge noch einmal den schwarzen Teil von Kapitel 1 und dann das Kapitel 4 in direktem Zusammenhang lesen; ich denke, dann wird klar, dass der Gesamtaufbau durchaus homogen ist.
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Im Mittelpunkt der Story steht Valeria. Um sie allein geht es, und zwar in jedem Moment. Die Romanfigur Naked Elvin scheint zwar in den ersten beiden Kapiteln eine dominante Rolle zu spielen, doch tatsächlich befinden wir uns die ganze Zeit über in Valerias Kopf ... dem Kopf einer Sechzehnjährigen, in dem neben überraschender Klarheit und Kapazität auch einiges Chaos herrscht. Indem Valeria in ihrem Buch liest, folgen wir eigentlich nicht dem Text (den ich bewusst nicht sehr anspruchsvoll gestaltet habe), sondern ihren Gedanken.
So bleibt konsequenterweise die Perspektive der Story fast durchgehend bei Valeria - einschließlich all ihrer fantastischen Vorstellungen, selbst Naked Elvin zu sein. Ihre Gedanken und Empfindungen sind es, die mich interessiert haben. Es mag den einen oder anderen überraschen: Der masochistische Zug kam sozusagen von alleine, aus der Figur selbst heraus und war von mir anfangs gar nicht intendiert. Valeria ist eine Außenseiterin, äußerlich wie innerlich ... und nur eine solche wäre wohl - bei Annahme höchstmöglichen Realismus - bereit, einen derart outrierten Plan zu fassen wie mit gerade mal 16 splitternackt vor dreitausend Leuten aufzumarschieren. Vor den konventionellen Wünschen und Träumen ihrer Altersgenossen gruselt sie sich. Gleichzeitig erlaubt ihr ihre sonstige Distanz zu herkömmlichen Vorstellungen und Prägungen, ihre Sexualität völlig unvoreingenommen und relativ hemmungslos zu erforschen. Da ist nun der Schritt zum Experimentellen, ja zum Extremen, kein großer mehr.
Ich möchte das Nähkästchen nicht zu weit aufmachen, doch soviel sei noch dazu gesagt: Es gibt reale Vorbilder in meinem Bekanntenkreis. Sicher nicht in einer Person vereinigt, doch in Biografie und sonstigen Umständen dicht genug beisammen, um eine Valeria daraus zusammen zu "brauen".
Kein Zufall ist natürlich auch Valerias Alter zum Zeitpunkt der Handlung. Nicht, weil ich speziell auf Sechzehnjährige abfahre ... regelmäßigen Lesern wird bekannt sein, dass meine weiblichen Hauptfiguren aus allen möglichen Altersgruppen stammen ... sondern weil 16 bei Mädchen bzw. jungen Frauen ein Alter ist, bei dem besonders vieles möglich scheint, was vorher nicht ging und danach unter dem Eindruck der fortschreitenden Sozialisation nicht mehr versucht wird, ein Alter des Auf- und Ausbrechens ... das natürlich oft genug unter dem Druck von Elternhaus, Freundeskreis oder schlicht fehlenden Möglichkeiten unerkannt oder ohne Folgen bleibt.
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So haben wir nun alle Zutaten für eine Story beisammen, die zugleich die tangentiale Annäherung an eine realistische Welt versucht und dabei zeigt, wie fantastisch diese Welt selbst werden kann ... zumal im Kopf einer pubertierenden Außenseiterin.
Um dies in Szene zu setzen, hätten am Anfang einige Erläuterungen gewiss gereicht. Wer sich die schwarzen Teile der Kapitel 1, 2 und 3 einmal als zusammenhängenden Text denkt, mag sich vorstellen können, wie dies gewirkt hätte. Doch ich wollte ja tiefer eindringen - vor allem in das Seelenleben meiner leicht desorientierten Sechzehnjährigen! Es ist nicht ungewöhnlich, dass Jugendliche sich ... ausgehend von Filmen oder Lektüre ... selbst in solche fantastischen Welten hineindenken und -träumen. Warum also nicht Valerias Alter nutzen und die Verbindung der beiden Welten ein wenig weiter treiben?
(Fortsetzung in Teil II)