Scham ist anerzogen und nicht angeboren

  • Die Süddeutsche Zeitung berichtete gestern: http://www.sueddeutsche.de/wissen/588/488980/bilder/]"Die Frauen der Yanomami in Südamerika tragen traditionell nur einen dünnen Faden, der um ihren Bauch geschlungen ist. Obwohl die Schnur nichts verbirgt, reagieren die sonst nackten Frauen mit Scham, wenn sie sie abnehmen sollen."[/url]
    Ich werte das als ein Beweis dafür, dass Scham anerzogen ist, dass es also keine angeborene oder „natürliche“ Scham gibt.

    In Kleinigkeiten wundern wir uns nicht über die Geschmacksunterschiede. Aber sobald es sich um die Wollust handelt, geht der Lärm los. - Marquis de Sade in Justine oder die Leiden der Tugend

  • Ja und nein, Erpan.


    Gerade das Verhalten der Yanomami verdeutlicht sehr gut, daß es tatsächlich eine "natürliche", nämlich angeborene Scham gibt. Nur ist dies keine Scham über irgendwelche Körperteile oder sonstige natürliche Gegebenheiten, sondern die Scham, sich nicht Gruppenkonform, oder auch obrigkeitskonform verhalten zu haben.
    Diese Scham stellt sich vollkommen automatisch ein, wenn man etwas tut, von dem man weiß, daß man es nicht soll/darf oder von dem man weiß, daß es abschätzig bewertet wird.
    Während beispielsweise der Junge, der schon sehr früh in für ihn positivem Kontext mit Sexualität in Berührung gekommen ist, stolz auf seinen steifen Schwanz ist, schämt sich der andere, dem Sexualität als etwas Verwerfliches dargestellt wurde für körperliche Signale des Verlangens gerade danach. Ebenso derjenige, der in der heutigen übersexualisierten Gesellschaft aufwächst, wo sich die Jungs gegenseitig für die Beulen in den Hosen aufziehen.
    Die scheinbar körperliche Scham ist auch da immer zu hundert Prozent die Scham vor "gesellschaftlicher Verfehlung".


    Die "natürliche Scham" hat einen für soziallebende Spezies geradezu überlebenswichtigen Wert.
    Da aber kaum jemand die Natur der Scham erkennt, wird statt der "natürlichen Scham" eine gesellschaftliche Tradition geschützt.

    Hier gibt es Leute, die im Namen der political Correctness ehrliche Menschlichkeit vernichten um sich zu profilieren.


    So lange diese wandelnde Beleidigung hier sein Unwesen treibt, bin ich hier weg!
    Ciao

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  • Ich denke auch, dass es da ein natuerliches Grundbeduerfinis gibt. Ich wuerde mich z.B. jederzeit bedenkenlos am FKK Strand ausziehen bzw. mich dort in Kleidung aeusserst unwohl fuehlen. Doch ich haette ehrlich gestanden grosse Scheu, mich beispielsweise mitten im Supermarkt beim Einkaufen nackt zu zeigen.


    Natuerlich waere demnach einfach das Beduerfnis, im Aeusseren dazuzugehoeren. Erziehung bzw. kulturelle Praegung ist, dies als Zwang oder Vorschrift zur Bekleidung zu interpretieren.


    Es gibt uebrigens eine interessante Parallele. Wir haben das natuerliche Grundbeduerfnis nach zwischenmenschlicher Naehe und - gelegentlich - auch nach Fortpflanzung. Die kulturelle Praegung sagt, dass dies in einer festen 2er-Beziehung zu geschehen habe.


    Und wie tief das sitzt kann man daran ablesen, dass es zwar inzwischen Ansaetze einer Homo-Ehe gibt, aber es bisher nirgends auch nur den Ansatz einer breiteren oeffentlichen Diskussion ueber eine generelle Oeffnung der Ehe in Richtung Lebenspartnergemeinschaft mit mehr als 2 Personen - und das, obwohl die Zahl der Menschen, die zumindest zeitweise gerne multiple (der Fachausdruck ist "polyamore") Partnerschaften eingehen wuerden, ziemlich gross sein duerfte.


    Nico S.

  • Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob wir, Leser, NicoS und ich, verschiedene Meinungen hätten. Aber beim näheren Hinsehen wird man entdecken, dass wir nur bei der Frage, was man als natürlich oder angeboren betrachten kann, eine Differenz haben - wenn überhaupt.


    Ich möchte das erläutern: Sich gruppenkonform zu verhalten ist sicher angeboren. Dafür hat die Evolution gesorgt, weil die Gruppe/Gesellschaft einen Überlebensvorteil gegenüber Einzelnen bedeutete und bedeutet. Und eine Gruppe/Gesellschaft ist in diesem Sinn nur dann eine Gruppe oder Gesellschaft, wenn darin eine große Übereinstimmung beim denken und handeln einzelnen Mitglieder festzustellen ist.


    Die Abweichungen Einzelner wurden und werden von der Gruppe/Gesellschaft nicht gern gesehen und abhängig von der Schwere der Übertretung in der einen oder anderen Form auch bestraft. Diese Bestrafung konnte und kann vielleicht milder ausfallen, wenn man durch sein Verhalten – Scham genannt - bekundet/e, dass man sich bewusst war/ist, eine gesellschaftliche Regel übertreten zu haben.


    Die Scham ist also eine Reaktion des Individuums auf eigene oder fremde Verfehlungen – man kann sich auch für andere schämen! – gegenüber gesellschaftlichen Normen. Diese Normen sind jedoch von Gesellschaft zu Gesellschaft verschieden, es kann sogar sein, dass man sich in einer Gesellschaft für etwas schämen muss, was in einer anderen nicht nur keine Verfehlung, sondern die Norm ist.


    Nur so ist es zu verstehen, dass sich, wie in der Zeitungsnotiz gesagt, die total nackten Indianerfrauen ihrer Nacktheit nicht schämen, wohl aber, wenn sie ohne einer dünnen, um den Bauch zu tragenden und nichts verbergenden Schnurr angetroffen werden.


    Das Was ist nicht wichtig, wichtig ist allein die Tatsache, dass eine Übertretung einer gesellschaftlichen Regel stattgefunden hat.


    Es gibt also keine angeborene oder natürliche Scham für Nacktheit – wie vielfach in Bezug auf Kinder behauptet wird -, es gibt nur eine angeborene oder natürliche Scham für das Übertreten einer gesellschaftlichen Regel, die ihrerseits keiner Erklärung bedarf. Die Regel ist da und das genügt. Warum sie da ist und ob es für sie einen rationalen Hintergrund gibt, können Indianerfrauen genauso wenig erklären wie wir.


    Es mag ja einmal rationale Gründe dafür gegeben haben, aber das alles liegt so weit zurück, dass der Ursprung nicht mehr erkennbar ist - entsprechen unbeholfen klingen auch unsere nachgereichte Erklärungen: Man kann unsere Regel – z.B. dass man auch bei 30 Grad plus seine Geschlechtsteile in der Öffentlichkeit bedecken muss – nicht rational erklären. Das ist auch nicht notwendig, denn man wächst mit dieser Regel ja auf. Sie ist einem so verinnerlicht, dass man sie vielfach fälschlicherweise als natürlich bezeichnet. Aber sie ist das mitnichten: Sie wurde einem nur von der Gruppe/Gesellschaft von der frühesten Jugend an - beiläufig oder nicht – beigebracht oder anerzogen.


    Das allein wollte ich mit meinem ersten Posting sagen.

    In Kleinigkeiten wundern wir uns nicht über die Geschmacksunterschiede. Aber sobald es sich um die Wollust handelt, geht der Lärm los. - Marquis de Sade in Justine oder die Leiden der Tugend

  • Komplett richtig, Erpan... es war mir nur nicht so viele Worte wert ;)

    Hier gibt es Leute, die im Namen der political Correctness ehrliche Menschlichkeit vernichten um sich zu profilieren.


    So lange diese wandelnde Beleidigung hier sein Unwesen treibt, bin ich hier weg!
    Ciao

  • Ein weiterer Aspekt zu deinem Ansatz fällt mir spontan noch ein Erpan. Es ist sehr entscheident für das Schamgefühl, wo und wie man aufwächst. Da unterscheiden wir Mitteleuropäer uns doch sehr von anderen Kulturen. Auch hier hat sich die freizügigkeit in den letzten Generationen erst entwickelt, doch gerade in diesem Bereich sind uns viele noch sehr weit hinterher.


    Das Gleiche gilt auch für die Erotik. Nicht jeder findet das gleiche erotisch. Und auch hier liegen kulturelle Unterschiede vor.
    Alles eine Frage der Erziehung und der Erfahrungen des Einzelnen und der Normen in seiner Gesellschaft. Wie kommt es da, dass gerade der Gegensatz so spannend ist.
    Natürlich will ich nicht sagen, dass jeder in einem Kulturkreis und mit annähernd gleichem Hintergrund die gleichen Dinge und Handlungen erotisch findet, d a gibt es wie man schon hier in SB sieht viele Unterschiede, doch vergleichen wir uns mit Asien , Südamerika oder Arabien, so stellen wir enorme Abweichungen fest.