Die nackte Maske
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Danke für das Kompliment!
Die Idee stammt, wie am Ende angeführt, aus Arthur Schnitzlers Traumnovelle (verfilmt von Stanley Kubrick als Eyes wide shut).
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Die Stelle, die mich inspiriert hat:
Nach wenigen Minuten, im Laufschritt, war er zu dem Eckhaus gelangt, das er suchte, läutete, erkundigte sich beim Hausmeister, ob der Maskenverleiher Gibiser hier im Hause wohnte, und hoffte im stillen, daß es nicht der Fall wäre. Aber Gibiser wohnte tatsächlich hier, im Stockwerk unterhalb der Leihanstalt, der Hausmeister schien nicht einmal sonderlich erstaunt über den späten Besuch, sondern, durch das ansehnliche Trinkgeld Fridolins leutselig gestimmt, bemerkte er, daß während des Faschings gar nicht so selten auch in solcher Nachtstunde Leute kämen, um Kostüme auszuleihen. Er leuchtete von unten aus so lange mit der Kerze, bis Fridolin im ersten Stockwerk geklingelt hatte. Herr Gibiser, als hätte er an der Türe gewartet, öffnete selbst, er war hager, bartlos, kahl, trug einen altmodischen geblümten Schlafrock und eine türkische Mütze mit einer Troddel, so daß er wie ein lächerlicher Alter auf dem Theater aussah. Fridolin brachte sein Begehren vor und erwähnte, daß der Preis keine Rolle spiele, worauf Herr Gibiser beinahe wegwerfend bemerkte: »Ich verlange, was mir zukommt, nicht mehr.«
Er führte Fridolin über eine Wendeltreppe ins Magazin hinauf. Es roch nach Seide, Samt, Parfüms, Staub und trockenen Blumen; aus schwimmendem Dunkel blitzte es silbern und rot; und plötzlich glänzten eine Menge kleiner Lämpchen zwischen offenen Schränken eines engen, langgestreckten Gangs, der sich rückwärts in Finsternis verlor. Rechts und links hingen Kostüme aller Art; auf der einen Seite Ritter, Knappen, Bauern, Jäger, Gelehrte, Orientalen, Narren, auf der anderen Hofdamen, Ritterfräulein, Bäuerinnen, Kammerzofen, Königinnen der Nacht. Oberhalb der Kostüme waren die entsprechenden Kopfbedeckungen zu sehen, und es war Fridolin zumute, als wenn er durch eine Allee von Gehängten schritte, die im Begriffe wären, sich gegenseitig zum Tanz aufzufordern. Herr Gibiser ging hinter ihm einher. »Haben der Herr einen besonderen Wunsch? Louis Quatorze? Directoire? Altdeutsch?«
»Ich brauche eine dunkle Mönchskutte und eine schwarze Larve, nichts weiter.«
In diesem Augenblick tönte vom Ende des Gangs her ein gläsernes Geklirr. Fridolin sah dem Maskenverleiher erschrocken ins Gesicht, als sei dieser zu sofortiger Aufklärung verpflichtet. Gibiser selbst aber stand starr, tastete nach einem irgendwo versteckten Schalter – und eine blendende Helle ergoß sich sofort bis zum Ende des Gangs, wo ein kleines gedecktes Tischchen mit Tellern, Gläsern und Flaschen zu sehen war. Von zwei Stühlen rechts und links erhoben sich je ein Femrichter in rotem Talar, während ein zierliches helles Wesen im selben Augenblick verschwand. Gibiser stürzte mit langen Schritten hin, griff über den Tisch und hielt eine weiße Perücke in der Hand, während zugleich unter dem Tisch sich hervorschlängelnd ein anmutiges, ganz junges Mädchen, fast noch ein Kind, im Pierrettenkostüm mit weißen Seidenstrümpfen durch den Gang bis zu Fridolin gelaufen kam, der sie notgedrungen in seinen Armen auffing. Gibiser hatte die weiße Perücke auf den Tisch fallen lassen und hielt rechts und links die Femrichter an den Falten ihrer Talare fest. Zugleich rief er zu Fridolin hin: »Herr, halten Sie mir das Mädel fest.« Die Kleine preßte sich an Fridolin, als müßte er sie schützen. Ihr kleines schmales Gesicht war weiß bestäubt, mit einigen Schönheitspflästerchen bedeckt, von ihren zarten Brüsten stieg ein Duft von Rosen und Puder auf; – aus ihren Augen lächelte Schelmerei und Lust.
»Meine Herren«, rief Gibiser, »Sie bleiben hier so lange, bis ich Sie der Polizei übergeben habe.«
»Was fällt Ihnen ein?« riefen die beiden. Und wie aus einem Munde: »Wir sind einer Einladung des Fräuleins gefolgt.«
Gibiser ließ sie beide los, und Fridolin hörte, wie er zu ihnen sagte: »Hierüber werden Sie nähere Auskunft zu geben haben. Oder sahen Sie nicht sofort, daß Sie es mit einer Wahnsinnigen zu tun hatten?« und zu Fridolin gewendet: »Verzeihen Sie den Zwischenfall, mein Herr.«
»Oh, es tut nichts«, sagte Fridolin. Am liebsten wäre er dageblieben oder hätte die Kleine gleich mitgenommen, wohin immer – und was immer daraus gefolgt wäre. Sie sah lockend und kindlich zu ihm auf, wie gebannt. Die Femrichter am Ende des Ganges unterhielten sich aufgeregt miteinander. Gibiser wandte sich sachlich an Fridolin mit der Frage: »Sie wünschen eine Kutte, mein Herr, einen Pilgerhut, eine Larve?«
»Nein«, sagte die Pierrette mit leuchtenden Augen, »einen Hermelinmantel mußt du diesem Herrn geben und ein rotseidenes Wams.«
»Du rührst dich nicht von meiner Seite«, sagte Gibiser und wies auf eine dunkle Kutte, die zwischen einem Landsknecht und einem venezianischen Senator hing. »Dieses entspricht Ihrer Größe, hier der passende Hut, nehmen Sie, rasch.«
Nun meldeten sich von neuem die Femrichter. »Sie werden uns unverzüglich hinauslassen, Herr Chibisier«, sie sprachen den Namen Gibiser zu Fridolins Befremden französisch aus.
»Davon kann keine Rede sein«, erwiderte der Maskenverleiher höhnisch, »vorläufig werden Sie die Freundlichkeit haben, hier meine Rückkehr abzuwarten.«
Indes fuhr Fridolin in die Kutte, band die Enden der herunterhängenden weißen Schnur in einen Knoten, Gibiser reichte ihm, auf einer schmalen Leiter stehend, den schwarzen, breitkrempigen Pilgerhut herunter, und Fridolin setzte ihn auf; doch dies alles tat er wie unter einem Zwang, denn immer stärker empfand er es wie eine Verpflichtung, zu bleiben und der Pierrette in einer drohenden Gefahr beizustehen. Die Larve, die Gibiser ihm nun in die Hand drückte und die er gleich probierte, roch nach einem fremdartigen, etwas widerlichen Parfüm.
»Du gehst mir voran«, sagte Gibiser zu der Kleinen und wies gebieterisch zur Treppe. Pierrette wandte sich um, blickte zum Ende des Gangs und winkte einen wehmütig-heiteren Abschiedsgruß hin. Fridolin folgte ihrem Blick; dort standen keine Femrichter mehr, sondern zwei schlanke junge Herrn in Frack und weißer Krawatte, doch beide noch mit den roten Larven über den Gesichtern. Pierrette schwebte die Wendeltreppe hinab, Gibiser ging hinter ihr, ihnen folgte Fridolin. Im Vorzimmer unten öffnete Gibiser eine Tür, die nach den inneren Räumen führte, und sagte zu Pierrette: »Du gehst augenblicklich zu Bette, verworfenes Geschöpf, wir sprechen uns, sobald ich mit den Herren oben abgerechnet habe.«
Sie stand in der Türe, weiß und zart, und schüttelte mit einem Blick auf Fridolin traurig den Kopf. Fridolin erblickte in einem großen Wandspiegel rechts einen hageren Pilger, der niemand anderer war als er selbst, und wunderte sich darüber, mit so natürlichen Dingen es eigentlich zuging.
Pierrette war verschwunden, der alte Maskenverleiher sperrte hinter ihr ab. Dann öffnete er die Wohnungstür und drängte Fridolin ins Stiegenhaus.
»Verzeihen Sie«, sagte Fridolin, »meine Schuldigkeit...«
»Lassen Sie, mein Herr, Bezahlung erfolgt bei Rückstellung, ich traue Ihnen.«
Doch Fridolin rührte sich nicht vom Fleck. »Sie schwören mir, daß Sie dem armen Kind nichts Böses tun werden?«
»Was kümmert Sie das, Herr?«
»Ich hörte, wie Sie die Kleine vorher als wahnsinnig bezeichneten – und jetzt nannten Sie sie ein verworfenes Geschöpf. Ein auffallender Widerspruch, Sie werden es nicht leugnen.«
»Nun, mein Herr«, entgegnete Gibiser mit einem Ton wie auf dem Theater, »ist der Wahnsinnige nicht verworfen vor Gott?«
Fridolin schüttelte sich angewidert.
»Wie immer«, bemerkte er dann, »es wird sich Rat schaffen lassen. Ich bin Arzt. Wir reden morgen weiter über die Sache.«
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Danke für den Hinweis.
Ich dachte zwar, ich hätte die Geschichte "Nackte Maske" als seperaten Film gesehen, aber du hast mich eines Besseren belehrt.
Ein sehr guter, mysteriöser Film mit Tom Cruise und Nicole Kidman, aus der man, wie ich angetan sehe, eigene Storys (stories) entwickeln kann. Die Schöne war allerdings bekleidet und hatte in Anbetracht des 20. Jahrhundert vielleicht keine "glatte Spalte".
Die Ableitung gefällt trotzdem - Kompliment.
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Arthur Schnitzlers Traumnovelle habe ich leider nicht gelesen.
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Genau, mausbacher, mit Tom Cruise und Nicole Kidman.
Die Theaterfassung in Wien habe ich in meiner Geschichte "Die Traumnovelle" beschrieben.baer
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Ich muss beichten, dass ich die "Traumnovelle" niemals gelesen habe.
Und "Eyes Wide Shut" habe ich damals zwar im Kino gesehen - das müsste noch in den 1990-ern gewesen sein? - aber irgendwie auch nicht so ganz verstanden, und seitdem nie wieder geschaut.
Von daher hatte ich beim Lesen von baers Geschichte keinerlei Vorahnung oder Vermutung, wie diese sich wohl entwickeln könnte oder würde.
Und ich muss sagen, die Auflösung - bzw. die wohl vom Leser vermutete Auflösung, ein wenig geheimnisvoll bleiben die Ereignisse letztlich ja - ist wirklich raffiniert. Ebenso wie der Kniff, doch nicht mit letzter Sicherheit zu enthüllen, was das Geschehene zu bedeuten hat, sondern dem Leser die Freiheit zu lassen, die ihm angebotene Erklärung anzunehmen oder sich doch etwas anderes zu überlegen.
Dass Erzählstil und Semantik einsame Spitze sind, muss ich bei einer Geschichte aus der Feder von baer wohl gar nicht mehr besonders hervorheben.
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So viel Lob ist wirklich überwältigend, Kimberly!
Ich habe mich sehr gefreut. Noch dazu, wo es von einer so erfolgreichen und sprachgewandten Autorin kommt!Eyes Wide Shut ist 1999 herausgekommen. Genau wie bei der Vorlage von Schnitzler bleibt die Handlung absichtlich dunkel. Das Buch ist aber subtiler und wirklich empfehlenswert. Sehr erotisch und von psychoanalytischer Treffsicherheit. Es gibt auch eine Volltextversion im www von der Gutenberg.de-Bibliothek.
baer
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Eine Anmerkung zum Titel, baer ....
eine "nackte Maske", gibts das.... ich glaube nicht. Eine Maske kann doch nicht nackt sein, sie verbirgt höchstens Nacktheit, aber selber ist sie es nicht. Das wäre ja so etwas Ähnliches wie ein weisser Schimmel.
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Nö, es wäre eher so etwas wie ein schwarzer Schimmel (aber auch nicht wirklich), oder noch eher wie ein Hochhaus, das im Keller sitzt, aber nur, wenn man's wörtlich nimmt. "Die Maske" steht hier aber synonym für die Maskierte, was literarisch durchaus zulässig ist.
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Das Wort Maske bedeutet nicht nur den vor das Gesicht gehaltenen Gegenstand sondern u.a. auch (pars pro toto) deren Träger.
vgl. Duden
Mas|ke
Bedeutungsübersicht
1.
a.vor dem Gesicht getragene, das Gesicht einer bestimmten Figur, einen bestimmten Gesichtsausdruck darstellende [steife] Form aus Pappe, Leder, Holz o.Ä. als Requisit des Theaters, Tanzes, der Magie
b.maskierte, verkleidete Person
c.mithilfe eines Gipsabdrucks hergestellte Nachbildung eines Gesichts; Gipsmaske; Totenmaske
...Im Italienischen zb "Signori mascheri" in Verdi, Un Ballo in Maschera.
"Die nackte Maske" anstatt etwa "Die maskierte Nackte"habe ich gewählt, um das Geschlecht der Maskierten im Titel zu verschleiern.
baer
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Und ansonsten hätte es eine ephithetische rhetorische Figur im Sinne der bewussten Verstärkung eines Pleonasmus sein können, bei der eine bestimmte Bedeutung mehrfach auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck gebracht wird. Ein sogenanntes rhetorisches Stilmittel.
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Respekt mausbacher,
dieser Dein Satz könnte aus dem Merkblatt der Deutschen Bundespost stammen, so wie der folgende etwa:
"Der Wertsack ist ein Beutel, der auf Grund seiner besonderen Verwendung nicht Wertbeutel, sondern Wertsack genannt wird, weil sein Inhalt aus mehreren Wertbeuteln besteht, die in den Wertsack nicht verbeutelt, sondern versackt werden." -
Tja, der Herr mausbacher ist ein gebildeter Gentleman.
Mir gefällt die Geschichte sehr, sehr gut. Sie ist leicht zu lesen, die Handlung ist spannend und am Ende auch vergnüglich.
Viel mehr gibts dazu ja nicht zu sagen, wie (fast) alle Stories von baer kurz und knackig. Ich hab zwar nur Kubricks Verfilmung gesehen (ein weiteres Meisterwerk von ihm). Aber das Element, welches sich ja auch durchaus in anderen Geschichten von baer wiederfinden lässt, einen bereits vorhandenen Handlungsstrang mit erotischen Ergänzungen auszuschmücken hat einmal mehr seinen Reiz bewiesen.