Dem neuen Werk des Literaturwissenschafters Wolfgang Matz widmet die FAZ heute eine ganzseitige Rezension.
Liebe und Betrug sind die ewigen Themen der Literatur, von Tristan und
Isolde bis Don Giovanni - mitten im 19. Jahrhundert taucht aber
plötzlich im Gesellschaftsroman eine neue Variante der alten Geschichte
auf: der Ehebruch in der bürgerlichen Familie. Emma Bovary, Anna
Karenina und Effi Briest - das sind die drei berühmten Frauen, die das
Verbotene tun und um eines anderen Mannes willen ihre ganze Existenz
riskieren: Emma, die radikale Spielerin, Anna, die leidenschaftlich
Liebende, und die viel zu junge, naive Effi, die der flüchtigen
Gelegenheit nicht widersteht.
(Klappentext)
... die Arbeit des Münchner Literaturhistorikers, der anhand der Werke von
Flaubert, Tolstoi und Fontane die eindrucksvollen Konstruktionen der
Ehebruch-Romane untersucht und dabei insbesondere Charakteristik, Stand
und Alter, Intelligenz und Gewissen, Temperament und Fantasiebegabung
der Ehemänner, Ehebrecherinnen und Geliebten genau betrachtet.
(FAZ, 1.3.2014)
Das Erstaunliche an dieser Literaturgattung ist für mich aber die Kunst, sprachliche Anspielungen so weit zu treiben, daß der kundige Leser versteht, die Zensur aber nicht zuschlagen kann!
Ein berühmtes Beispiel aus Flauberts Madame Bovary (selbst in der Übersetzung nachvollziehbar)*:
Er fand Emma am Fenster stehend, die Stirn an die Scheiben gedrückt.
Sie schaute in den Garten hinaus, wo der Wind die Bohnenstangen
umgeworfen hatte. Sich umwendend, fragte sie:
»Suchen Sie etwas?«
»Meinen Reitstock, wenn Sie gestatten!«
Er fing an zu suchen, hinter den Türen und unter den Stühlen.
Der Stock war auf den Fußboden gefallen, gerade zwischen die Säcke und
die Wand. Emma entdeckte ihn. Als sie sich über die Säcke beugte, wollte
Karl ihr galant zuvorkommen. Wie er seinen Arm in der nämlichen Absicht
wie sie ausstreckte, berührte seine Brust den gebückten Rücken des
jungen Mädchens. Sie fühlten es beide. Emma fuhr rasch in die Höhe. Ganz
rot geworden, sah sie ihn über die Schulter weg an, indem sie ihm
seinen Reitstock reichte.
Ein heutiger Autor könnte daraus eine BDSM-Szene machen.
Aber ist es so nicht viel schöner?
baer
*
«Was suchen sie?», fragt sie ihn. «La cravache», meint er. Die
Reitpeitsche. Im französischen Wort versteckt sich die Kuh («la vache»).
Charles sucht die Peitsche und streckt sich über die gebückte
Frau vor, als würde ein Stier die Kuh begatten, da holt sie, mit rotem
Kopf, das Gesuchte hervor, reicht es über die Schulter. Es ist, und
dieses Wort muss unbedingt wie bei Edl am Ende des Abschnitts stehen:
Ein Ochsenziemer.
http://www.srf.ch/kultur/literatur/die-kunst-des-ehebruchs