Einige von uns kennen sie vielleicht noch aus der Schule, Ovids Tristia, die traurigen Dinge aus der Verbannung, die der berühmte römische Dichter der Kaiserzeit in seinem Exil am Schwarzen Meer verfaßt hat. Sein Schicksal gereiche uns heute zur Warnung!
Die Tristia erzählen die Geschichte eines ans Ende der Welt verbannten
Dichters, seine Reise dorthin, die Gefahren der See mit ihren Stürmen;
den Aufenthalt dann am Schwarzen Meer bei den barbarischen Geten; das Leben in der fernen Stadt Tomis, das dauernd bedroht ist von wilden Horden jenseits der Donau, in einem Land, das, adstricto perusta gelu,
verbrannt wird vom härtesten Frost. ... sollen wir Ovid ernsthaft glauben, er habe, qualiacumque manu, irgendwie und mit zitternder Hand an den Tristia geschrieben, während Wellen, hoch wie Berge, quanti montes aquarum!, das Schiff, das ihn nach Tomis bringen sollte, mitsamt seiner Besatzung beinahe verschlangen?
Die Vorstellung klingt schrecklich, vom Zentrum der Welt, wo die erotischsten Werke der Weltliteratur entstanden sind, an die Donau oder gar noch jenseits davon in den härtesten Frost verbannt zu werden.
Dazu gehören jene Gedichte, die der in Ungnade Gefallene an seine Frau und die wenigen noch verbliebenen Freunde, vix duo tresve, mehr waren es nicht, gerichtet hat. Scis bene, cui dicam,
du weißt schon, dass ich dich meine, schreibt er einem von ihnen,
dessen Namen er nicht nennen darf, der aber Beispiel ist dafür, dass in
der Not sich die wahren Freunde erst zeigen. Dazu zählen aber auch die
schmeichelnden Briefe an Kaiser Augustus, den er als den sanftmütigsten Herrscher, mitissime Caesar,
anspricht, in der Hoffnung, dieser würde ihn begnadigen oder ihm
wenigstens einen der Stadt Rom näher gelegenen Verbannungsort
zugestehen. Ein weiterer Gegenstand, der die Tristia maßgeblich
bestimmt, ist der griechische Mythos: Die Rolle des Kaisers und das
Schicksal des Dichters werden allenthalben durch Beispiele aus der Welt
der Götter und Helden gespiegelt. Hier lenkt der Kaiser, maxime dive, wie Jupiter die Geschicke der Welt und der Menschen, da irrt einer fern der Heimat umher, a patria fugi victus et exul, wie ein zweiter Odysseus.
Es bleiben nur zwei oder drei Freunde, deren Namen er nicht zu nennen wagt. Dem erhabenen Alleinherrscher schmeichelt er, um Begnadigung zu erflehen. Jupiter lenkt die Geschicke der Welt und der Menschen!
Und dieses Werk ist auch die Quelle schlechthin für die Frage, weshalb
eigentlich Ovid ans Schwarze Meer verbannt worden ist. Der Dichter
selbst hält sich bedeckt, nennt als Grund nur lakonisch carmen et error:
Eine Dichtung, die Liebeskunst nämlich, geschrieben unter Augustus -
der hatte zuvor strenge Sittengesetze erlassen - sei ihm zum Verhängnis
geworden und ein Vergehen, irrtümlich geschehen und ganz ohne Absicht,
aber dem Kaiser zum Ärger. Es scheint klar, dass Ovid seine Ars
amatoria, deren Veröffentlichung zum Zeitpunkt der Verbannung schon acht
Jahre zurücklag, nur als Vorwand verwendet, um den wahren Grund seines
Exils nicht aussprechen zu müssen. Denn worin jener error, das Vergehen, das den Kaiser verletzt haben soll, letztlich lag, erfahren wir nicht. Einmal nur sagt Ovid dazu, non sit causa cruenta,
an seinen Händen klebe kein Blut, und an anderer Stelle, er habe
zufällig etwas Schlimmes gesehen. Spekulationen über den Grund für die
Verbannung sind Legion, eine besagt sogar, Kaiser Augustus habe im Wald
von Aricia Vestalinnen
vergewaltigt, und Ovid sei ein Augenzeuge der Szene gewesen. Finden wir
uns lieber damit ab, dass diese Frage nach der derzeitigen Lage der
Quellen ungelöst bleiben muss!
Der Grund für das schreckliche Schicksal sind bei Ovid erotische Dichtungen - das kann uns seit SB ja nicht mehr passieren, im Gegenteil!
Daß man etwas Schlimmes gehört oder gesehen habe, ist jedoch auch heute noch gefährlich!
Ovid war, genau genommen, nur relegiert, d. h. er behielt sein Vermögen,
und seine Bücher - die Liebeskunst freilich nicht - waren weiterhin
geduldet in Rom, ja auch die in Tomi entstandenen Gedichte wurden
gelesen. Tu tamen i pro me et aspice Romam schickt er das neue
Buch auf den Weg, das, da es ihm selbst nicht erlaubt ist,
stellvertretend für ihn in die Heimat zurückkehren soll. Ob Relegation
oder Exil, viele der Erfahrungen und Beobachtungen Ovids, das Leben in
der Fremde betreffend, mussten auch den Exilautoren des letzten
Jahrhunderts aufgefallen sein.
Gerade die Liebeskunst wird ihm aber gefehlt haben bei den Barbaren!
Von welchem Charakter ich, der ich mich stets mit zarter Liebesdichtung beschäftigte, eigentlich gewesen
bin, vernimm, o Nachwelt, damit du weisst, von wem du liest.
Oft sagte der Vater zu mir: "Warum versuchst du dich an brotlosen Künsten? Selbst Homer hinterließ keine
Reichtümer."
Die Autoren jener Zeit verehrte ich mit heissem Herzen, und wieviele Dichter zugegen waren, glaubte ich,
daß ebensoviele Götter da seien. ... Oft pflegte Properz von seiner Liebesglut vorzutragen, aufgrund des Rechts unserer Gemeinschaft, durch das er
mir verbunden war [wie Ovid Verfasser von Liebeselegien].
Dafür also, dass ich lebe und den harten Mühen widerstehe und mich nicht der Überdruss vor dem
sorgenvollen Leben packt, sei dir, Muse, Dank: Denn du gewährst mir Trost, du kommst in der Sorge als Ruhe
und als Heilmittel dagegen. Du bist Führerin und Begleiterin, du führst mich weg von der Donau und gibst mir
mitten auf dem Helikon einen Platz.
aus Ovid, Tristia 4,10
baer